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Prekäre Beschäftigung – Herausforderung für die Gewerkschaften

Anregungen und Vorschläge für die gewerkschaftliche Diskussion

Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Beschäftigung steigt – und trotzdem bleibt der Arbeitsmarkt tief gespalten. Für etwa ein Drittel der Beschäftigten ist atypische oder gar prekäre Arbeit immer noch der Normalfall.

Prekäre Beschäftigung hat viele Gesichter. Das Spektrum erstreckt sich von Menschen, die einen unsicheren Arbeitsplatz haben oder sich von einer Befristung zur nächsten hangeln über diejenigen, die nur einen Minijob finden oder einen Zweitjob benötigen bis hin zu Leiharbeitnehmern, die schnell wieder entlassen und dann – nicht immer – wieder neu angestellt werden. Nicht alle atypischen Beschäftigungen sind prekär, aber sie bergen häufig große Risiken für die Beschäftigten, nicht zuletzt weil Mitbestimmungsrechte ausgehebelt werden und Belegschaften gegeneinander ausgespielt werden.

Mit prekären Beschäftigungsverhältnissen werden Risiken vom Arbeitgeber auf die Beschäftigten verlagert. Außerdem bieten sie zahlreiche Möglichkeiten für schwarze Schafe unter den Arbeitgebern, Lohn- und Sozialdumping zu betreiben und Geschäfte am Rande oder außerhalb der Legalität zu organisieren, nicht nur als „Subunternehmer“ in der Fleischindustrie oder am Bau. Das Unterlaufen von Mindestlöhnen, unbezahlte Überstunden, Missbrauch von Minijobs, Scheinselbständigkeit oder Schwarzarbeit – all das findet sich fast ausschließlich in prekären bzw. atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Hier werden immer wieder fehlende Kenntnisse der Rechtslage und die Notlagen der Beschäftigten von skrupellosen Geschäftemachern ausgenutzt, um soziale Schutzmechanismen auszuhebeln.

Prekäre Beschäftigung ist fast immer verbunden mit schlechten Arbeitsbedingungen und so geringen Verdienstmöglichkeiten, dass die Menschen kaum über die Runden kommen. Nach Litauen hat Deutschland den größten Niedriglohnsektor in Europa. Für viele Erwerbstätige ist prekäre Beschäftigung ein Dauerzustand. Manchen gelingt nach einiger Zeit der Übergang in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Diejenigen, die dauerhaft prekär arbeiten, leben in ständiger Angst vor Arbeitslosigkeit.

Hier helfen – dafür engagieren sich Gewerkschaften – ein besserer Schutz im Fall von Arbeitslosigkeit, Aufwärtsperspektiven am Arbeitsmarkt, gute Arbeit, Betriebsräte und Mitbestimmung und nicht zuletzt: Tarifbindung und Stärkung der Allgemeinverbindlicherklärungen, damit alle Unternehmen in einer Branche verpflichtet sind, Tariflöhne zu zahlen, auch diejenigen, die mit Tarifflucht Lohndumping betreiben wollen.

Mit prekären Beschäftigungen wird nicht nur die Spaltung des Arbeitsmarktes vergrößert, sondern auch die Spaltung innerhalb der Belegschaften betrieben. Damit werden Stammbelegschaften eingeschüchtert und ihnen wird ganz praktisch vor Augen geführt, dass sie ersetzbar sind. Das führt nicht zuletzt zu Einschüchterung und Disziplinierung und schlägt sich zulasten von Demokratie und Mitbestimmung im Betrieb nieder. Wer so sieht, wie seine Zukunft aussehen könnte oder mit einem befristeten Beschäftigungsverhältnis Angst davor hat, gleich wieder auf der Straße zu stehen, für den oder die ist die Schwelle sehr hoch, sich auch einmal für die eigenen Interessen oder die der Kollegen in den Konflikt mit dem Arbeitgeber zu begeben.

Der Kampf für gute Arbeit ist eine Kernaufgabe der Gewerkschaften. Es ist ein Erfolg, dass die Qualität von Arbeit wieder stärker in den Mittelpunkt der politischen Diskussion gerückt ist und auch im bevorstehenden Wahlkampf eine Rolle spielt. Die Einführung des Mindestlohnes ist hier ein wichtiger Erfolg, eine bessere Regulierung der Leiharbeit konnte zwar erreicht werden, kann uns aber noch nicht ausreichen. Deshalb können wir uns mit dem Status Quo am Arbeitsmarkt nicht zufrieden geben, die Eindämmung prekärer Beschäftigungsverhältnisse bleibt weiterhin für Gewerkschaften oben auf der Tagesordnung. Nach zehn Jahren wollen wir mit dieser Broschüre eine Bilanz zu unserer Aufholjagd für gute Arbeit ziehen, aber auch für die aktiven Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter Informationen zusammenstellen, um die Diskussion in den Betrieben, Betriebsräten und Gewerkschaftsgremien weiterzuführen.

In den einzelnen Kapiteln findet sich jeweils eine Beschreibung der Situation mit Daten und Fakten. Anschließend werden Lösungswege aufgezeigt, die sich sowohl auf Forderungen an die Politik, aber auch auf das gewerkschaftliche Handeln beziehen. Die Gewerkschaften können im Rahmen von Tarifpolitik oder Betriebspolitik Verbesserungen für prekär Beschäftigte erreichen. Auch für Betriebsräte stellt sich hier eine besondere Herausforderung, prekäre und atypische Arbeit erfordert neue Strategien. Die gilt es weiterzuentwickeln, sich auszutauschen und über gute Wege voneinander zu lernen.

Annelie Buntenbach
Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstan


Quelle: arbeitsmarkt aktuell, Sonderausgabe: Prekäre Beschäftigung

Gedruckte Fassung: Die Hefte sind kostenlos, der Besteller trägt lediglich die Versandkosten. Für die Bestellung ist eine einmalige Registrierung erforderlich. Mit einem Auftrag können max. 50 Hefte bestellt werden.

https://www.dgb-bestellservice.de/besys_dgb/auswahl.php?artikelnr=DGB21409


Die Broschüre zur prekären Beschäftigung kann hier als pdf-Datei heruntergeladen werden.



Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 22.06.2017