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DGB sieht beim geplanten neuen Vergaberecht noch erheblichen Änderungsbedarf

§ 130 GWB-E – Soziale und andere besondere Dienstleistungen

a) Allgemein zu sozialen Dienstleistungen


Mit § 130 GWB-E werden Artikel 74 ff. der Richtlinie 2014/24/EU umgesetzt. Artikel 74 ff. unterstellen bestimmte soziale und andere besondere Dienstleistungen erleichterten Beschaffungsregelungen, die im Einzelnen im Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU aufgeführt sind. Dazu zählen unter anderem Arbeitsmarktdienstleistungen. Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften begrüßen die Vorgabe der Richtlinie 2014/24/EU, für die sozialen Dienstleistungen ein vereinfachtes Vergabeverfahren zu schaffen. Daher wird auch grundsätzlich die im Gesetzentwurf enthaltene Begründung zur Umsetzung der Regelungen zu sozialen und besonderen Dienstleistungen in der Richtlinie 2014/24/EU begrüßt.

Der DGB unterstützt zudem die Regelung in § 106 GWB-E i. V. m. Art. 4 Richtlinie 2014/24/EU. Danach fallen öffentliche Aufträge über soziale Dienstleistungen erst ab einem Auftragswert von 750.000 € in den Geltungsbereich dieses Gesetzes. Der Erwägungs-grund 114 der Richtlinie 2014/24/EU hebt hervor, dass Dienstleistungen im Sozial-, Gesundheits- und im Bildungsbereich eine begrenzte grenzüberschreitende Dimension haben. Dienstleistungen unter dem Schwellenwert sind in der Regel für Dienstleister aus anderen Mitgliedsstaaten nicht von Interesse.

b) Klarstellungen im Gesetz vornehmen: besonderes Vergaberegime für soziale Dienstleistungen

§ 130 GWB-E stellt allerdings nicht sicher, dass die in den Artikeln 74 ff. Richtlinie 2014/24/EU eröffnete Flexibilität für öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe sozialer Dienstleistungen gewährleistet wird. Der Gesetzentwurf zählt zwar die einzelnen zur Verfügung stehenden Verfahrensarten auf, jedoch ohne besondere Einschränkungen oder Voraussetzungen zu schaffen. Ein eigenes vereinfachtes Vergaberegime für soziale Dienstleistungen ist trotz der Vorgaben der Richtlinie 2014/24/EU, trotz entsprechender Hinweise in der Gesetzesbegründung auf S. 134 und trotz der Vorgaben im Eckpunktepapier des Bundeskabinetts vom 7. Januar 2015 nicht geschaffen worden.

Insbesondere fehlen bislang Verfahrensregeln entsprechend den Vorgaben in Art. 76 Abs. 1 Richtlinie 2014/24/EU, wonach die Mitgliedsstaaten sicherzustellen haben, dass die öffentlichen Auftraggeber die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer einhalten. Auch Art. 76 Abs. 2 S. 1 Richtlinie 2014/24/EU wurde nicht umgesetzt. Danach gewährleisten die Mitgliedsstaaten, dass die öffentlichen Auftraggeber der Notwendigkeit, Qualität, Kontinuität, Zugänglichkeit, Bezahlbarkeit, Verfügbarkeit und Vollständigkeit der Dienstleistungen sicherstellen, sowie den spezifischen Bedürfnissen verschiedener Nutzerkategorien, einschließlich benachteiligter und schutzbedürftiger Gruppen, der Einbeziehung und Ermächtigung der Nutzer und dem Aspekt der Innovation Rechnung tragen. Damit stellt die Richtlinie 2014/24/EU klar, dass die Ziele des Sozialrechts, wie Art. 76 Abs. 2 sie beispielhaft aufzählt, nicht von der Verfahrenslogik des Vergaberechts überlagert werden dürfen, wenn sich Transparenz und Chancengerechtigkeit des Auswahlvorgangs auch anderweitig sicherstellen lassen.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern den Gesetzgeber auf, diese Grundsätze zu berücksichtigen. Die in den Artikeln 74 und 76 Abs. 1 und Abs. 2 Richtlinie 2014/24/EU aufgeführten Tatbestände sind in das Gesetz aufzunehmen. Insbesondere ist im neuen GWB-E ein besonderes Vergaberegime für soziale Dienstleistungen zu schaffen. Als Verfahrensarten kommen dabei insbesondere das Verhandlungsverfahren, der wettbewerblicher Dialog und die Innovationspartnerschaft (bei Neukonzeptionen) in Betracht. Dies schafft Klarstellungen für die Praxis.

c) Insbesondere: Qualitätswettbewerb sicherstellen

Soziale Dienstleistungen und insbesondere für Arbeitsmarktdienstleistungen sind durch zwei konstitutive Merkmale gekennzeichnet:
  • das Ergebnis ist immateriell,

  • die Leistungserstellung geschieht unter Mitwirkung des Kunden.

Dies bedeutet, dass sie gekennzeichnet sind durch ein hohes Maß an Heterogenität und Individualität (personalisiert) in Verbindung mit persönlichen Interaktionen. Diese Form einer Dienstleistung lässt sich nicht allein auf den Preis der Leistung reduzieren.

Daher ist das Vergabeverfahren im GWB-E so zu gestalten, dass der Wettbewerb nicht al-leine über den Preis, sondern insbesondere über die Qualität geführt wird. Nur so entsteht ein fairer Wettbewerb ohne Lohndumping, Outsourcing und die Umwandlung von abhängiger Beschäftigung in Honorarbeschäftigung.

Diese Grundsätze finden sich auch in der Vorgaben der Richtlinie 2014/24/EU. So schreibt Art. 67 Richtlinie 2014/24/EU die Zuschlagserteilung auf das wirtschaftlichste und nicht nur preisgünstigste Angebot im Rahmen eines Preis-Leistungs-Verhältnisses fest. Art. 76 Absatz 2 Satz 2 konkretisiert diesen Grundsatz für soziale Dienstleistungen, wonach die Mitgliedsstaaten auch vorsehen können, dass die Auswahl der Dienstleister auf der Grundlage des Angebots mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis unter Berücksichtigung von Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien getroffen wird.

Art. 67 Absatz 2 b Richtlinie 2014/24/EU sieht vor, dass die Qualität und Erfahrung des Personal als Zuschlagskriterium berücksichtigt werden, wenn die Qualität des Personal erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung hat. Nach Erwägungsgrund 94 der Richtlinie 2014/24/EU sollen öffentliche Auftraggeber, die davon Gebrauch machen, mit Hilfe geeigneter vertraglicher Mittel sicherstellen, dass die zur Auftragsausführung eingesetzten Mitarbeiter die angegebenen Qualitätsnormen effektiv erfüllen und nur mit Zustimmung des öffentlichen Auftraggebers ersetzt werden können, wenn dieser sich davon überzeugt hat, dass das Ersatzpersonal ein gleichwertiges Qualitätsniveau hat.

§ 130 GWB-E berücksichtigt leider keine dieser Vorgaben aus der Richtlinie 2014/24/EU. Qualifikation und Erfahrung des eingesetzten Personals sind im Vergabeverfahren gesondert zu gewichten. Dabei sind Aspekte der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität zu berücksichtigen. Der DGB fordert eine Umsetzung dieser Vorgaben für soziale Dienstleistungen in das Gesetz (und nicht etwa „nur“ in die Rechtsverordnung). Damit ließe sich die bestehende Praxis bei Arbeitsmarktdienstleistungen in Deutschland beheben, die nicht die Erfahrungen, Einfühlungsvermögen und Qualifizierung des eingesetzten Personals berücksichtigt.

Im Ergebnis muss es dem Auftraggeber möglich sein, konkrete Anforderungen an die Art der Beschäftigung zu definieren. Denn die Festsetzung von Mindestlöhnen oder Tariflöhnen ist wirkungslos, wenn die Auftragnehmer die Beschäftigten beliebig durch Honorarkräfte ersetzen können.

Weitergehende Ausformungen o.g. Grundsätze sollten im Rahmen der anstehenden Überarbeitung der Rechtsverordnungen berücksichtigt werden. So sollte z.B. die Gewichtung der Organisation, der Qualifikation und der Erfahrung des mit der Durchführung des betreffenden Auftrags betrauten Personals in § 4 Abs. 2 VgV von 25% auf 40% erhöht wer-den. Zudem ist auch sicherzustellen, dass bei Vorliegen von Mindestlöhnen nach dem Gesetz oder nach allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen Honorarkräfte analog zu abhängig Beschäftigten vergütet werden. Ebenso sollte der Anteil befristet Beschäftigter bei den Trägern beschränkt werden.

d) Rehabilitationsleistungen nach dem SGB VI

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften gehen davon aus, dass Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach dem SGB VI auch weiterhin nicht dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) unterfallen. Eine eindeutige, klarstellende Formulierung ist jedoch weder dem Gesetzesentwurf selbst noch der Begründung zu entnehmen. Hier besteht jedoch dringend Klarstellungsbedarf.

Dies gilt umso mehr, als die Gesetzesbegründung die Regelungen der SGB II, III und IX ausdrücklich nennt. Auch bei den Rehabilitationsleistungen nach dem SGB VI handelt es sich um Leistungen zu Wiederherstellung und Erhalt der Erwerbsfähigkeit und damit zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Willkürlich erscheinende Differenzierungen nach dem Träger der Rehabilitationsleistung sorgen für zusätzliche Komplexität und führen zu widersprüchlichen Ergebnissen, die letztlich zu Lasten der Rehabilitand/innen gehen.

Die Anwendung des Vergaberechts auf Rehabilitationsleistungen würde nicht das Leistungsniveau verbessern, sondern – zumindest langfristig – Kostenaspekten eine unangemessen hohe Bedeutung zumessen. Damit würde ein Unterbietungswettbewerb eröffnet, der zu Lasten der Versicherten und der Qualität der Leistungserbringung ausgetragen würde. Das hohe Qualitätsniveau der Leistungen zur Rehabilitation nach dem SGB VI darf – auch nicht unter dem Vorwand höherer Transparenz – nicht zur Disposition stehen.

Für den Erfolg einer Maßnahme können auch Faktoren maßgeblich sein, die im Rahmen eines europaweiten Vergabeverfahrens nicht ausreichend berücksichtigt werden könnten, etwa Wohnortnähe und subjektive Bedürfnisse der Versicherten.


Quelle: Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts, Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergModG (Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2014)
(Seite 8 – 11)


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Honorar, Arbeitnehmerentsendegesetz
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 03.06.2015