Der Kommentar

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Neues Quartal: Die Kuh ist vom Eis, dachte ich

Es war wie an jedem Ende des Quartals, an dem die Frage im Raum steht: Werden genug Teilnehmer für meinen Kurs akquiriert? Denn: keine Teilnehmer, kein Geld. So einfach ist das für mich, einem Lehrer mit Honorarvertrag, in dem festgehalten ist, dass nur „tatsächlich geleistete Unterrichtsstunden“ honoriert werden.

Eigentlich wurde ich nur in den ersten Jahren nach meinem Hochschulabschluss von ernstlichen Existenzängsten geplagt. Seit ich noch ein paar andere Standbeine – besser gesagt: einige „Standbeinchen“ – habe, bereitet mir der Verlust von einem Auftrag kaum noch schlaflose Nächte. Aber der Verlust von diesem Kurs täte mir dann doch ziemlich weh, denn er macht ein Drittel meiner Einnahmen aus. Und ich muss inhaltlich und methodisch nicht schon wieder das Rad neu erfinden.

Zweieinhalb Wochen vor Maßnahmebeginn kommt die Entwarnung: Es gibt mehrere feste Anmeldungen für mein Kerngebiet. Die Kuh ist vom Eis, denke ich aufatmend. Wieder ein Halbjahr in relativer Sicherheit leben. Wie gesagt: relative Sicherheit. Denn die hinterhältige Schlange mit dem harmlos daher kommenden Namen „Vorrang für den betrieblichen Belang“ lauert hinter jeder Ecke.

Und das geht so: Es ist mein freier Vormittag und ich kämpfe gerade mit dem Flaschenrückgabegerät bei Penny, das partout meine Plastikflaschen nicht annehmen will. Da klingelt das stets bereite Handy. Der Chef ist dran: „Herr Müller, wir müssen Ihren Unterrichtstag verlegen, denn die Innung will die Teilnehmer nun am Mittwoch unterrichten.“ Ich lasse sofort die Flaschen Flaschen sein und sage betont lässig: „Kein Problem! Für mich muss es nicht unbedingt der Mittwoch sein, ich kann stattdessen auch Donnerstag oder Freitag unterrichten. Nur der Montag geht überhaupt nicht.“

Drei Tage später suche ich in der Pause zwischen zwei Unterrichtseinheiten den Chef in seinem Büro auf. Ich möchte den Fortgang der Geschichte erkunden. Er ist beim Mittagessen und – das kenne ich von meinem früheren Job im öffentlichen Dienst – die Pause war stets wichtige Stätte der Entspannung, Ruhe und Belebung, so dass der Anlass schon wirklich sehr, sehr wichtig sein musste, um jemanden aus der Pause zu holen. „Der Chef hat recht“, denke ich, „Pausenzeiten werden nicht bezahlt und sollen darum auch nicht fremdbestimmt werden.“ Also verschiebe ich meinen Kontaktierungsversuch auf die nächste kleine Pause und ich habe Glück, denn der Chef ist jetzt wieder bei der Arbeit und sogar ansprechbar.

Aber der Chef hat schlechte Nachrichten: „Tut mir leid. Am Donnerstag und Freitag brauchen die Praktikumsbetriebe die Teilnehmer. Sie benötigen dringend zwei zusammenhängende Tage.“ Und da er weiß, dass mir das nicht schmecken kann, schiebt er noch schnell einen Appell an meine Fachkundigkeit nach: „Ach, Sie kennen das ja. Sie sind ja technisch bewandert und wissen, dass das Auf- und Abrüsten von Maschinen für nur einen Praxistag nicht lohnt.“

Meine Coolness schmilzt trotz der fachlichen Anerkennung auf einmal dahin. „O.k., dann bleibt ja immer noch der Dienstag“, sage ich, obwohl ich weiß, dass ich da mein anderes Standbeinchen bedienen muss und schon drüber nachdenke, wie und mit welchen Argumenten ich diesen Kurs auf einen anderen Tag verlegt bekomme. Irgendwie werde ich das schon managen, denke ich.

Doch auch für diesen Tag gibt es einen wichtigen betrieblichen Grund, hinter dem ich und meine kleinen Bedürfnisse nach finanzieller Sicherheit zurückstehen müssen. Der anonyme Sachzwang der Verhältnisse geht auf meine Kosten. Meine Flexibilität in fast jeder Hinsicht hat mir nichts genutzt.

Angenommen, es gibt plötzlich einen Festangestellten, der nicht auf seine Stunden kommt: Es muss ein Kurs verschoben, ausgesetzt oder verkürzt werden. Schon hab’ ich Pech gehabt. Von Glück kann ich als Honorarkraft beinahe sprechen, wenn der Ausfall der schon sicher geglaubten Stunden nicht allzu kurzfristig kommt. Denn auch das kann man haben: Kein Teilnehmer am Unterrichtstag und schon gibt’s kein Geld. Es soll sogar Bildungsträger geben, bei denen gerade mal 5 Euro für den Ausfall bezahlt werden.

Ich bin frustriert. Dabei habe ich neulich im Radio gehört: „Die innere Kündigung kommt bei Selbstständigen viel seltener vor als bei Arbeitnehmern.“ Könnte da ein Journalist dem notwendigen Zweckoptimismus von vielen Selbstständigen auf den Leim gegangen sein?

Wie ist es bei mir weiter gegangen? Na, da gab’s ja noch einen anderen Kurs mit vielen Neuanmeldungen. Dort kann ich nun unterrichten, was mich allerdings viele unbezahlte Vorbereitungszeiten kostet. Der Grund: Der dort eingesetzte Lehrer – natürlich auch eine Honorarkraft – hat sich ein Bein gebrochen. Des einen Tod, des anderen Brot. Ich beschließe gesund und vor allem flexibel zu bleiben.


ein Beitrag aus der ver.di-AG Freie und Honorarkräfte Hamburg



Schlagworte zu diesem Beitrag: Freiberufler/Selbstständige
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 01.06.2015