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Abwärtstrend in einer unübersichtlichen Branche

Eines ist unbestritten: Die Weiterbildung gewinnt an Bedeutung, ihr Umfang wächst. Doch die Beschreibung der Branche ist schwierig, die Datenbasis überaus löchrig. Dabei wurden durchaus große Anstrengungen von Seiten interessierter und betroffener Institutionen unternommen, Licht ins Dunkel zu bringen: Inzwischen liegt eine stattliche Anzahl von Untersuchungen über Teilbereiche vor. Doch es mangelt an Systematik, exakter Abgrenzung und Zuordnung. So sind Aussagen über Entwicklungstendenzen in der Weiterbildung heute Einschätzungen und kein detailliertes Gesamtbild.


Zum einen lassen sich die Angebote nach verschiedenen Kategorien differenzieren und kombinieren: Weiterbildung vor Ort versus Fernlehrgänge und informelles Lernen versus institutionell gebundenes Lernen. Inhaltlich zu unterscheiden sind allgemeine, politische und berufliche Weiterbildung – wobei Letztere unbestritten das größte Gewicht hat. Die meisten Untersuchungen gibt es zu den Teilnehmenden: Je höher das Qualifikationsniveau, desto stärker die Partizipation an Weiterbildungsangeboten.

Auch wenn sich nur Trends bei den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen erkennen lassen, müssen Gewerkschaften politisch handeln und sich dabei auf Hypothesen stützen. Unser Vorschlag zur Orientierung: Marktsegmente grob nach Finanzierungsgrundlage und Inhalten beschreiben, auch wenn sich beides überschneidet. So gibt es beispielsweise den Sprachschulmarkt mit Deutsch als Fremdsprache als Teilmarkt davon. Davon getrennt zu betrachten sind die Kurse im Auftrag des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Es gibt den Nachhilfemarkt und die Volkshochschulen, die Qualifizierungsmaßnahmen von Arbeitsagenturen und Jobcentern, Fernunterrichtsangebote und IT-Fortbildungen, Maßnahmen der politischen Bildung und regional sehr unterschiedliche Bildungsurlaubsseminare.

Auch der gewerkschaftliche Organisationsgrad und die betriebliche Interessenvertretung sind sehr unterschiedlich verteilt. Die meisten Mitglieder und Betriebsräte gab es schon in Vor-Hartz-Zeiten bei Trägern, die Maßnahmen nach dem SGB II und III anbieten, wo es einen gewerkschaftlichen Zugang zur Weiterbildung gibt. So konnte in der Vergangenheit ein gewisses Niveau an Bezahlung und Arbeitsbedingungen durchgesetzt werden. Doch mit der Krise der SGB-II/III-geförderten Weiterbildung seit 2004 brachen diese Strukturen zusammen. Die Gehälter sanken innerhalb weniger Jahre um 30 bis 50 Prozent, die Zahl der Beschäftigten brach massiv ein, Neueinstellungen sind beinahe ausschließlich befristet. Das alles färbte auf andere Bereiche der Weiterbildung ab, wo der Druck auf die Beschäftigten ebenfalls deutlich zugenommen hat.

Und damit nicht genug. Mittlerweile breitet sich die in der gesamten Branche ausufernde Honorarbeschäftigung auch auf andere Bildungsbereiche aus. Die Ausweitung der Unterrichts- und Betreuungszeit bei der Umstellung auf Ganztagsschulen hat zumindest in Hamburg und Niedersachsen zu einem Boom an Honorarkräften geführt. Allein die Hamburger Schulbehörde schloss zwischen 2005 und 2010 über 25.000 Honorarverträge ab. In Niedersachsen läuft ein Verfahren der Rentenversicherung gegen das Kultusministerium, bei dem es um den sozialversicherungsrechtlichen Status von 7000 Honorarkräften geht.

Fazit: Die weitgehend ungeregelte Weiterbildung wächst – und die miserablen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sind nicht länger mehr auf die Branche selbst beschränkt, sondern greifen auf andere Bildungsbereiche über. Auf der Agenda der Gewerkschaften muss der gesamte Bildungsbereich deshalb ganz oben stehen.

Roland Kohsiek


Der biwifo-Report 1/2015 enthält weitere Artikel zur Weiterbildung


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Weiterbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 20.03.2015