Lebenslanges Lernen

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Bundesregierung legt den Berufsbildungsbericht 2014 vor

Zu wenig Ausbildungsplätze für Hauptschüler, zu wenig Weiterbildung für gering Qualifizierte

A. Zur Lage auf dem Ausbildungsmarkt
Demografische Chance verpasst, Ausbildungsbereitschaft auf historischem Tief


Der Ausbildungsmarkt steht vor ernsten Herausforderungen: Trotz guter Konjunktur und steigender Schulabgänger/innenzahlen ist die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge 2013 mit 530.715 auf den mit Abstand niedrigsten Wert seit der Deutschen Einheit gefallen. Dies bedeutet im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 3,7 % beziehungsweise 20.500 abgeschlossene Ausbildungsverträge weniger.

Ein realistischer Blick auf die tatsächliche Lage auf dem Ausbildungsmarkt lässt sich mit der Kategorie der ausbildungsinteressierten Jugendlichen erfassen, die ebenfalls vom BIBB entwickelt wurde. Sie setzt sich zusammen aus der Zahl der neuen Ausbildungsverträge sowie der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die zwar den Bewerberstatus erhalten, aber keinen Ausbildungsplatz bekommen haben.

Diese Statistik zeigt, dass von den 816.541 jungen Menschen, die im Laufe des Berichtsjahres 2013 ein ernsthaftes Interesse an einer Ausbildung hatten – und als „ausbildungsreif“ deklariert wurden – lediglich 530.715 einen Ausbildungsvertrag unterschrieben haben. Damit haben nur 65,0 % dieser jungen Menschen einen Ausbildungsplatz gefunden. Dies ist trotz robuster Konjunktur gegenüber dem Jahr 2010 (68,3 %) ein deutlicher Rückgang. Die Integrationskraft des dualen Systems lässt nach.



Allein im Jahr 2013 zeigten 83.564 Jugendliche an, dass sie zum Stichtag 30. September 2013 noch immer akut einen Ausbildungsplatz suchen. Das entspricht einem Zuwachs von rund 10 % im Vergleich zum Vorjahr. Dem stehen nur 33.500 offene Ausbildungsplätze gegenüber. Auf dem Ausbildungsmarkt ist eine paradoxe Situation zu beobachten: Während immer mehr Jugendliche keinen Ausbildungsplatz finden, steigt gleichzeitig die Zahl der unbesetzten Stellen. Zudem zeigt der Ausbildungsmarkt ein nach Regionen und Berufen sehr zersplittertes Bild.

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen ziehen sich aus der Ausbildung zurück. Die Quote der Ausbildungsbetriebe ist mit 21,3 % auf dem tiefsten Stand seit 1999 angelangt. Gleichzeitig können vor allem Betriebe in den Problembranchen mit schlechter Ausbildungs-qualität – wie etwa Gaststätten und Hotels – ihre Ausbildungsplätze oft nicht besetzen.

Erfreulich ist: Die duale Berufsausbildung bleibt auch für hochqualifizierte Jugendliche attraktiv. Fast jede/r vierte Auszubildende hat das Abitur oder die Fachhochschulreife in der Tasche (24,0 %). Im Bereich Industrie oder Handel ist es gar jeder dritte Jugendliche (30,0 %). Tendenz: steigend. Allein von 2008 bis 2012 ist die Zahl der Jugendlichen mit Studienberechtigung um 14.000 gestiegen – und das bei sinkenden Vertragszahlen. Wenn auch zwischenzeitlich doppelte Abiturjahrgänge in einzelnen Ländern die Statistik ein wenig verzerrt haben mögen, zeigt sich: Das duale System leidet nicht unter einem Mangel an gut qualifizierten jungen Menschen.

Die mangelnde Integration von Jugendlichen mit schlechten Startchancen ist das Hauptproblem. Nur noch 7 % der Betriebe bilden Jugendliche mit Hauptschulabschluss aus. Rund 257.600 Jugendliche befinden sich in den zahllosen „Maßnahmen“ im Übergang von der Schule in die Ausbildung. Wenn sich die Zahl der Ausbildungsplätze im Sinkflug befindet, liegt dies nicht am vermeintlichen „Akademisierungswahn“, sondern an Betrieben, die sich an eine Bestenauslese gewöhnt haben und Jugendlichen mit Hauptschulabschluss von vorne-herein keine Chance mehr geben.

Fazit:

Diese Zahlen zeigen: Bund, Länder und Sozialpartner müssen gemeinsam die duale Berufs-ausbildung wieder stärken. Junge Menschen haben ein Recht auf Ausbildung. Die Betriebe dürfen nicht nur über den vermeintlichen Fachkräftemangel klagen, sie müssen endlich wieder mehr ausbilden. Die neue Bundesregierung sollte durch eine Ausbildungsplatzgarantie sicherstellen, dass die Warteschleifen im Übergang von der Schule in die Ausbildung abgebaut werden und den Jugendlichen der Weg hin zu einem Ausbildungsabschluss vorbereitet wird.

Um die Lage auf dem Ausbildungsmarkt zu verbessern, sind folgende Maßnahmen notwendig:
  1. Eine Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen, die eine allgemeinbildende Schule verlassen, muss umgesetzt werden. Viele Bundesländer gestalten derzeit den Übergangsbereich neu. Jugendliche, die keinen betrieblichen Ausbildungsplatz erhalten haben, bekommen eine außerbetriebliche beziehungsweise vollzeitschulische Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf, immer mit dem Ziel des Übergangs in betriebliche Ausbildung. Es muss sichergestellt werden, dass dies nicht einen Rückzug der Betriebe aus der Ausbildung fördert. Um Mitnahmeeffekte zu vermeiden, muss daher über innovative Finanzierungsmodelle nachgedacht werden. Die Finanzierung der Ausbildungsgarantie muss auch von den Unternehmen, die sich nicht ausreichend an der Ausbildung beteiligen, getragen werden.

  2. Die Anzahl der beteiligten Betriebe an der Ausbildung muss entsprechend des zukünftigen Fachkräftebedarfes und der beruflichen Interessen der Jugendlichen er-höht werden. Es sollen vor allem jene Betriebe für eine Ausbildung gewonnen werden, in denen die zukünftig benötigten Fachkräfte qualitativ gut ausgebildet werden können. Die Qualitätssicherung in der beruflichen Erstausbildung muss gewährleistet sein. Die Daten des regionalen Fachkräftemonitorings geben eine Orientierung zu prognostizierten Fachkräfteengpässen.

  3. Jugendliche mit Förderbedarf und Betriebe, die diese ausbilden, brauchen Unterstützung. Die ausbildungsbegleitenden Hilfen und die assistierte Ausbildung müssen zu einem neuen integrativen Förder- und Entwicklungsinstrument weiterentwickelt und massiv ausgebaut werden. Finanzierungs- und Vergabefragen sind so zu klären, dass eine Verankerung bei den regionalen Akteuren (Betrieben, Berufsschulen und Gewerkschaften) sichergestellt ist.

  4. Um Jugendliche gezielt beim Übergang von der Schule in den Betrieb zu beraten, ist eine regionale Anlaufstelle zu schaffen. Jugendberufsagenturen nach dem Hamburger Vorbild können die bisherigen unterschiedlichen Beratungsangebote sinnvoll bündeln. Wir begrüßen deshalb den im Berufsbildungsbericht angekündigten flächendeckenden Ausbau von Jugendberufsagenturen, in denen die verschiedenen Rechtskreise zusammenarbeiten.

  5. Die schulische Berufs- und Arbeitsweltorientierung muss ausgebaut werden. Schülerinnen und Schüler sollen in die Lage versetzt werden, eine qualifizierte Berufswahlentscheidung treffen zu können. Eine Analyse ihrer Potenziale muss immer auch in konkrete, individuelle Förderkonzepte mit verbindlichen Zielen münden. Im Unterricht müssen die Probleme der Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt sichtbar gemacht und unterschiedliche Lösungsstrategien und Handlungsmöglichkeiten dar-gestellt werden. Mitbestimmung und Demokratie, insbesondere auch in Bezug auf Arbeitsbeziehungen, müssen erfahrbar werden.

Die Umsetzung einer Ausbildungsgarantie wird es jedoch nicht zum Nulltarif geben. Der Bund muss entsprechende Mittel – zum Beispiel zum Ausbau der assistierten Ausbildung, der ausbildungsbegleitenden Hilfen sowie der Berufseinstiegsbegleitung – im Bundeshaushalt bereitstellen.


B. Die Qualität der Ausbildung verbessern

Gegenüber 2009 (22,1 %) ist die Quote der vorzeitigen Vertragslösungen im Jahr 2012 auf 24,4 % gestiegen – und das trotz der eingeleiteten Maßnahmen zur Verhinderung von Vertragslösungen und Ausbildungsabbrüchen. Diese Quote ist eindeutig zu hoch.

Auffällig bleibt, dass die Lösungsquoten schon seit Jahren erheblich zwischen den einzelnen Ausbildungsberufen variieren. Mehr noch: Alle Ausbildungsberufe mit einem hohen Anteil an unbesetzten Plätzen haben seit Jahren die höchsten Quoten vorzeitiger Vertragslösungen. Mehr als 40 % gelöste Ausbildungsverträge und geringe Übernahmequoten sind nicht selten. Dies gilt gerade für die Hotel- und Gaststättenbranche. Wenn junge Menschen als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden und ihnen keine attraktiven Berufsperspektiven für die Zeit nach der Ausbildung angeboten werden, bewerben sie sich in diesen Unternehmen nicht mehr.

Fazit:

Die hohen Lösungsquoten sind zu analysieren, um den Ursachen auf die Spur zu kommen. Es ist auch Aufgabe der zuständigen Stellen, die Qualität der Ausbildung in den Betrieben und die „Ausbildungsreife“ der Unternehmen durch eine stärkere Überprüfung und Unterstützungsmaßnahmen zu gewährleisten.

Wenn Betriebe für Bewerber/innen attraktiv sein wollen, müssen sie ihre Auszubildenden besser bezahlen, die Qualität der Ausbildung verbessern, mehr Auszubildende übernehmen und die Beschäftigungsbedingungen verbessern.

Es muss ein Konzept zur Qualitätssicherung in der beruflichen Bildung entwickelt werden, dass bei den zuständigen Stellen auch tatsächlich umgesetzt wird. Das DGB/IG Metall-Konzept „Qualitätsrahmen für die Berufsausbildung“ kann dafür als Modell dienen.

Die Qualität der beruflichen Ausbildung muss die Möglichkeit bieten, dass junge Menschen auch befähigt werden, ein Studium aufzunehmen. Sowohl die berufsbildenden Schulen wie auch die Betriebe haben die Aufgabe, berufliche Ausbildung so zu gestalten, dass eine um-fassende Persönlichkeitsentwicklung unterstützt wird. Die Ausstattung der Berufsschulen muss deshalb überprüft und gegebenenfalls verbessert werden. Lehrende, die zur sogenannten demografischen Reserve gehören, müssen an den Berufsschulen bleiben, um so auch einen Beitrag zur Verbesserung der Qualität leisten zu können und auch Ausbildungsabbrüche zu verhindern.


C. Berufspolitische Entwicklungen in der Pflege

Die Anforderungen an die Arbeit der Pflegefachkräfte verändern sich. Die gegenwärtige Orientierung der spezialisierten Ausbildungen der Pflegeberufe am Lebensalter der zu Pflegen-den entspricht nicht mehr den Anforderungen an eine zeitgemäße professionelle Pflege. Ei-ne Orientierung an den Anforderungen der Versorgungsbereiche ist aber weiterhin geboten. Spezifische Qualifikationen in der Akutversorgung im Krankenhaus (einschließlich der Pädiatrie), der ambulanten pflegerischen Versorgung und der stationären Altenhilfe sind weiterhin erforderlich.

Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, die bisher getrennten Ausbildungen in der Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und Altenpflege näher zusammenzuführen, zugleich aber die jeweiligen Spezialisierungen zu erhalten. Die Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer spricht sich deshalb für eine dreijährige Ausbildung mit einer zweijährigen einheitlichen Grundausbildung und anschließender einjähriger Schwerpunktsetzung in allgemeiner Pflege, Kinderkrankenpflege oder Altenpflege mit unterschiedlichen Berufsabschlüssen aus. Es sollte eine einheitliche Rechtsgrundlage nach dem Vorbild des Krankenpflegegesetzes geschaffen werden.

Im Falle der Einführung einer generalistischen Ausbildung – wie ursprünglich von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Entwurfs eines neuen Pflegeberufegesetzes vom 1. März 2012 vorgeschlagen – ist dagegen zu befürchten, dass insbesondere in der Altenpflege Kurzausbildungen mit hohem Spezialisierungsgrad geschaffen werden. Auch in der Akutversorgung ist ein höheres Maß an Spezialisierung erforderlich. Die Krankenhäuser reagieren darauf bereits, indem sie neue Berufe basteln, die auf sehr enge Arbeitsgebiete ausgerichtet sind.

Die von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgeschlagene Einführung einer akademischen Erstausbildung greift den Ergebnissen der Modellversuche vor. Zudem werden bisher die Fragen nicht überzeugend beantwortet, welche Zusatzqualifikationen nur in einer akademischen Ausbildung erworben werden können und für welche besonderen Tätigkeiten die akademisch qualifizierten Pflegekräfte eingesetzt werden sollen. Solange diese Fragen nicht beantwortet werden können, ist das einheitliche Berufsbild unbedingt zu erhalten. In diesem Fall wäre eine Alternative, dass zwei Wege – die bisherige Ausbildung und eine hochschulische Ausbildung – zu einem gleichwertigen Berufsabschluss führen könnten. Der Unterschied läge im zusätzlichen Hochschulabschluss. Für die praktische Ausbildung müssen die gleichen ausbildungsrechtlichen Standards für die Hochschulausbildung wie für die betrieblich-schulische Ausbildung gelten.

Die praktische Ausbildung hat in den Pflegeberufen einen großen Stellenwert. Doch hier liegt zurzeit ein großes Problem: Zeitdruck infolge von Personalmangel und Arbeitsverdichtung wirken sich negativ auf die Ausbildungsbedingungen aus. Der strukturierten Praxisanleitung kommt eine immer größere Bedeutung zu. Praxisanleiterinnen und Praxisanleiter müssen mehr Zeit bekommen, die Auszubildenden beim Lernen zu unterstützen. Es sollte daher eine Regelung von mindestens 10 % der praktischen Ausbildungszeit getroffen werden, in der praktische Anleitung durch qualifizierte Fachkräfte gemeinsam mit den Auszubildenden stattfindet.

Da die Anforderungen an die Pflegearbeit steigen, bedarf es einer qualifizierten Ausbildung auch im Pflegebereich mindestens auf dem Niveau eines anerkannten Berufsbildungsabschlusses. Die Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer spricht sich daher gegen Ausbildungsberufe unterhalb des Niveaus einer dreijährigen Fachausbildung aus. Die Absolventen und Absolventinnen einer Assistenzausbildung sind in weit höherem Maße von Arbeitslosigkeit betroffen als Pflegefachkräfte. Um dem wachsenden Fachkräftebedarf gerecht zu werden, wäre eine breit angelegte dreijährige Pflegeausbildung mit Schwerpunkt in der ambulanten Pflege auf Grundlage des Berufsbildungsgesetzes eine sinnvolle Alternative zu den landesrechtlich geregelten Assistenzausbildungen.

Soweit Berufszulassungsgesetze der Gesundheitsfachberufe (Heilberufe) bestehen, sind sie hinsichtlich ihrer Strukturen und Rahmenbedingungen einheitlich zu gestalten. Eine Schul-geldzahlung ist auszuschließen. Die fachbezogene Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten ist im jeweiligen Berufsgesetz zu regeln.

Die Förderung des dritten Umschulungsjahres in der Altenpflege durch die Bundesagentur für Arbeit erfolgt derzeit für einen befristeten Zeitraum. Da hierüber vielen Menschen eine berufliche Perspektive eröffnet werden kann, ist eine dauerhafte Förderung des dritten Umschulungsjahres zu ermöglichen.


D. Umsetzung des DQR weiter befördern

Die Berufsbildung in Deutschland hat ein mehrstufiges System von bundesweit geregelten beruflichen Fortbildungsqualifikationen, das gleichwertige Entwicklungsmöglichkeiten wie ein Hochschulstudium bietet. In den vom BIBB-Hauptausschuss beschlossenen Empfehlungen wird dieses System hinsichtlich seiner Qualifikationsniveaus und Standards erklärt und damit zugleich die Zuordnung der Fortbildungsqualifikationen zum Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) begründet. Auf diese Weise wird eine Rahmeninformation zur Verfügung gestellt, mit der für Absolventen und Absolventinnen einer anerkannten Berufsausbildung sowie auch für Hochschulabgänger und Hochschulabgängerinnen die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten im deutschen Berufsbildungssystem verdeutlicht werden. Die Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer erwartet,
  • dass die „Empfehlung für Eckpunkte zur Struktur und Qualitätssicherung der beruflichen Fortbildung nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) und Handwerksordnung (HwO)“ als Grundlage für die zukünftige Ordnungsarbeit genutzt wird;

  • dass zügig Verfahren entwickelt werden, wonach eine Zuordnung von bisher nicht zugeordneten beruflichen Fortbildungen, inklusive Kammerregelungen gemäß Â§ 54 BBiG und HwO erfolgen soll;

  • dass zügig eine Einigung zur Zuordnung von weiteren Fortbildungsqualifikationen auf dem Niveau 7 erzielt wird.

Die Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer begrüßt, dass die europäische Berufsbildungspolitik seit Dezember 2012 um das zusätzliche Instrument Validierung non formal und informell erworbener Kompetenzen erweitert wurde. Die Mitgliedsstaaten sollen bis 2018 Verfahren zur Validierung solcher Kompetenzen entwickeln. Will man im Bereich der non formal und informell erworbenen Kompetenzen einen höheren Grad an Systematisierung und Vergleichbarkeit erreichen, so bedarf dies organisatorischer Strukturen, die zusätzlich zu Bildungsangeboten und Bildungsanbietern zu denken beziehungsweise zu entwickeln sind. Die Grundfrage in diesem Zusammenhang ist, wie ein Zertifikat, eine Kursbesuchsbestätigung, ein Diplom, ein Zeugnis etc. zu einem DQR-relevanten Qualifikationsnachweis wird. Dies kann durch die Mitwirkung einer qualifizierten (autorisierten) Stelle erfolgen, die das Erreichen einer bildungsanbieterübergreifenden Qualifikation attestiert. Qualifikationsverantwortliche Stelle (QVS) wären Regulatoren für sektoral und/oder national gültige Qualifikationen, die bisher keine Entsprechung im Bereich der beruflichen Aufstiegsfortbildung gemäß BBiG/HwO haben. Dies bedarf einer engen Abstimmung und Kooperation zwischen QVS und Sozialpartnern, insbesondere in der Frage der Feststellung von Kompetenzen.


E. Weiterbildung ausbauen

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD „Deutschlands Zukunft gestalten“ wird eine Allianz für Aus- und Weiterbildung angestrebt. Es fehlen allerdings strategische Elemente und konkrete Überlegungen zur Gestaltung der Weiterbildung. So begrüßenswert eine Novellierung des Aufstiegsfortbildungsgesetzes ist, wird dies nicht ausreichen, eine Weiterbildungskultur in Deutschland zu erreichen.

Erfreulich ist, dass eine signifikante Steigerung der Weiterbildungsbeteiligung (von 42 % auf 49 % in 2012) zu verzeichnen ist. Allerdings zeigt der „Trendbericht Weiterbildung“ weiterhin eine starke soziale Spaltung im Weiterbildungssystem. Gut ausgebildete junge Männer mit Vollzeitstellen können ihr Wissen ständig auffrischen. Wer Teilzeit arbeitet, geringfügig beschäftigt ist, wenig verdient und keinen guten Schulabschluss hat, bekommt auch später deutlich weniger die Chance zur Weiterbildung. Dabei werden Betriebe angesichts des demografischen Wandels darauf angewiesen sein, gerade die bisher benachteiligten Gruppen zu qualifizieren, um ihren Fachkräftebedarf zu decken.

Die Gesamtschau der Daten ergibt gravierende Unterschiede beim Zugang zur Weiterbildung entlang folgender Merkmale:
  • Migrationshintergrund: Menschen mit Zuwanderungsgeschichte werden im Weiterbildungssystem zunehmend abgehängt. Bei ihnen stagnierte die Quote der Weiterbildung bei 33 %, während sie bei den Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte von 45 % (2010) auf 52 % im Jahr 2012 gestiegen ist.

  • Schulabschluss: Junge Menschen mit maximal einem Hauptschulabschluss (32 %) nehmen deutlich seltener an Weiterbildung teil als die Erwerbstätigen mit hohem Schulabschluss (64 %).

  • Berufsabschluss: Grundsätzlich gilt auch hier: Je höher der berufliche Abschluss, desto eher profitieren die Beschäftigten von Weiterbildung. Von den Menschen ohne Berufsabschluss haben sich 37 % weitergebildet, bei den Menschen mit Hochschul-abschluss waren es 68 %.

  • Un- und Angelernte: Führungskräfte (77 %) haben eine deutlich höhere Chance als An- und Ungelernte (37 %), an Weiterbildung teilzunehmen.

  • Einkommen: Die Weiterbildungsbeteiligung ist eng gekoppelt an das Einkommen der Beschäftigten. Beteiligten sich von den Beschäftigten mit einem Bruttoeinkommen von mehr als 4.001 Euro noch 78 % an Weiterbildung, lag die Quote bei einem Einkommen von 401 bis 1.000 Euro nur bei 43 %.

  • Erwerbsstatus: Auch Arbeitslose (29 %) nehmen deutlich seltener an Weiterbildung teil als Erwerbstätige (56 %).

  • Teilzeit-Beschäftigte: Teilzeit-Beschäftigte (36 %) schneiden bei der betrieblichen Weiterbildung deutlich schlechter ab als Vollzeit-Beschäftigte (48 %).

  • Ältere: Erfreulich ist die gestiegene Weiterbildungsquote von Menschen im Alter von 60 bis 64 Jahren (2007: 18 %; 2012: 32 %). Im Vergleich zu den 45- bis 49-Jährigen (54 %) schneiden sie aber immer noch deutlich zu schlecht ab.

  • Frauen: Männer beteiligten sich im Jahr 2012 etwas häufiger (51 %) als Frauen (47 %). Im Jahr 2010 gab es praktisch keinen Unterschied zwischen Männern (43 %) und Frauen (42 %). Der Zuwachs in der Weiterbildung erfolgte somit deutlich stärker bei den Männern als bei den Frauen.

  • Betriebsgröße: Mit zunehmender Betriebsgröße steigen auch die Teilnahmequoten an Weiterbildung. Hierbei war im Jahr 2012 die Spanne zwischen der Weiterbildungsquote in Kleinstbetrieben (36 %) und Großbetrieben (63 %) besonders hoch.

Anhand dieser Daten muss man von einer Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Weiterbildung sprechen. Mangelnde Transparenz, fehlende Beratung und eine unklare Finanzierung erschweren den Zugang zur Weiterbildung für diese abgehängten Menschen.

Um die Chancen der Weiterbildung für Beschäftigte und Betriebe zu erhöhen, müssen Angebot und Nachfrage gestärkt werden. Ein neues und besseres Weiterbildungssystem kann nur vom Staat, den Tarifvertragsparteien und den Betrieben gemeinsam gestaltet werden. Nötig sind eine innovative betriebliche Weiterbildung, mehr Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen sowie eine aktive staatliche Weiterbildungspolitik.

Wenn es um eine bessere Finanzierung der Weiterbildung geht, brauchen wir einen Mix aus drei Komponenten:
  • Erstens: Die Beschäftigten benötigen eine finanzielle Absicherung während der Weiterbildung. Es ist höchste Zeit, dass ein Erwachsenen-BAföG nach schwedischem Vorbild eingeführt wird. So wird es für Erwachsene leichter, ihren Bildungsabschluss später nachzuholen.

  • Zweitens: Wir müssen die Betriebe stärker in die Pflicht nehmen, um die berufliche Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finanzieren. Letztlich profitieren die Unternehmen von der steigenden Qualifizierung ihrer Belegschaften.

  • Drittens: Wer die Weiterbildung in Deutschland voranbringen will, muss – wie im Berufsbildungsgesetz für die Ausbildung – klare Strukturen schaffen, die für mehr Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Planungssicherheit für alle Beteiligten sorgen. In einem Bundesgesetz muss deshalb der Rahmen gesetzt werden für ein Recht auf Weiterbildung, für rechtlich garantierte Lernzeiten, für eine sichere Finanzierung, mehr Beratung und Transparenz, für bessere Qualitätssicherung und Zertifizierung.

Die Gewerkschaften engagieren sich im Übrigen ganz konkret für bessere Bildungschancen der Beschäftigten – zum Beispiel im Rahmen des ESF-Programms „weiter bilden“. Insgesamt werden 207 Projekte in rund 2.500 Unternehmen gefördert. Rund 150.000 Beschäftigte profitieren von diesem Programm. Befördert wurden 43 Qualifizierungstarifverträge und 69 Sozialpartnervereinbarungen zur besseren Weiterbildung der Beschäftigten.


F. ASCOT

ASCOT hat zum Ziel, innovative Verfahren zur Messung beruflicher Handlungskompetenzen (weiter) zu entwickeln, zu erproben und in die breite Praxis zu transferieren. Entsprechend hat die Ausschreibung der Forschungsinitiative den Anspruch formuliert, dass die entwickelten Verfahren im Anschluss an diese Forschungsinitiative in den Rahmen bestehender Prozesse von Kompetenzfeststellung (zum Beispiel Prüfung oder Anerkennungsverfahren) transferiert und dort breit genutzt werden können. Dieser Anspruch könne auch den hohen Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Die Arbeitnehmervertreter/innen im ASCOT-Fachbeirat haben von Beginn der Initiative darauf gedrungen, einen stärkeren Bezug zur Prüfungspraxis und deren Bedarfen sicherzustellen.

Laut dem Berufsbildungsbericht gibt es Bestrebungen, ein europäisches Berufsbildungs-PISA auf der Grundlage von ASCOT einzuführen. Solche Überlegungen wären jedoch über-haupt nur vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Verständnisses von Berufsbildung denkbar. Davon sind die EU beziehungsweise die Staaten der OECD noch meilenweit entfernt. Zudem hat sich der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung bereits zweimal gegen diese Initiative ausgesprochen. Die Kritik des Hauptausschusses richtete sich vor allem gegen den Anspruch, eine neue Form des Prüfens zu entwickeln. Dieser Ansatz wird als nicht praxistauglich angesehen. Darüber hinaus birgt dieser Ansatz das Risiko der Verbreitung eines verkürzten Konzeptes beruflicher Bildung. Die Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer erinnert an diese Einschätzung des BIBB-Hauptausschusses und spricht sich gegen die Durchführung eines Berufsbildungs-PISA auf der Grundlage von ASCOT aus.


Quelle: Ergänzendes Votum der Gruppe der Beauftragten der Arbeitnehmer zum Entwurf des Berufsbildungsberichts 2014, März 2014


Hier können Sie den Berufsbildungsbericht 2014 als pdf-Datei herunterladen.


Schlagworte zu diesem Beitrag: Ausbildung, Weiterbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 08.04.2014