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Eile beim Berufseinstieg kostet viel Zeit

Alles fing gut an. Nach erfolgreichem Abschluss der 10. Klasse begann Adam G. bei einem Verwandten eine Ausbildung zum Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik. Der Übergang von der Schule ins Berufsleben schien geglückt. Bald stellte sich jedoch heraus, dass seine Berufswahl weder seinen Neigungen noch seinen Fähigkeiten entsprach. Er war unkonzentriert und ungeschickt, und als er Teile einer Photovoltaikanlage fallen ließ, wurde ihm gekündigt.

Im folgenden Herbst schickte ihn das Jobcenter in eine Berufsvorbereitende Maßnahme (BvB) im handwerklichen Bereich. Obwohl er ahnte, dass es ihm an handwerklichem Geschick mangelt, konnte er seine Bedenken nicht deutlich ausdrücken. Wenig überraschend führte die BvB nicht dazu, dass er einen Platz auf dem ersten Ausbildungsmarkt fand. So bot ihm sein persönlicher Ansprechpartner einen Platz zur außerbetrieblichen Ausbildung als Gärtner an. Adam sah keine Alternative und nahm an. Die Zahl der Erfolgserlebnisse wurde immer geringer, seine Motivation sank und niemand in seiner Umgebung war erstaunt, als er nach dreieinhalb Jahren zum zweiten Mal an der Abschlussprüfung scheiterte.

Der Übergang Schule – Ausbildung ist nicht die erste Hürde in einer Lern- und Arbeitsbiografie, aber eine sehr entscheidende. Im Jahr 2010 fanden 106.000 SchulabgängerInnen keinen Ausbildungsplatz und 262.000 Menschen zwischen 15 und 25 Jahren waren arbeitslos. Bund, Länder, Kommunen und diverse Stiftungen bieten zusammen 192 Programme und Projekte für diese Zielgruppe an – unübersichtlich und mäßig erfolgreich.

Grund genug für uns in ver.di, ein Alternativkonzept zu erarbeiten. Das Ziel: Jugendliche sollen nicht von der Schule in die Ausbildungs- oder Arbeitslosigkeit gehen und kostbare Lebenszeit in Warteschleifen verbringen. Deshalb wollen wir eine praktische, vertiefte Berufsorientierung fördern. Hätte Adam sich in der Praxis ausprobieren können, hätte er gelernt, seine Neigungen und Fähigkeiten, aber auch die Anforderungen von Berufen und Arbeitsleben realistisch einzuschätzen. Eine solche Berufsorientierung muss zum verbindlichen Bestandteil des Lehrplans allgemeinbildender Schulen werden. Sie soll die Lernorte Schule und Betrieb so eng verknüpfen, dass ein flexibler Wechsel der SchülerInnen zwischen beiden Lebenswelten möglich ist. Der Übergang muss von verlässlichen Bezugspersonen begleitet werden, die die individuellen Fähigkeiten und auch informell erworbene Kompetenzen der Jugendlichen anerkennen und sie auf ihrem jeweils eigenen Weg bestärken.

Letztlich wollen wir sicher stellen, dass alle jungen Leute mit Schulabschluss als „ausbildungsreif“ akzeptiert werden. Jeder und jedem muss ein Ausbildungsplatz, mindestens aber eine Qualifizierung angeboten werden, um ihm so einen Berufsabschluss zu ermöglichen und Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen.

Bei alledem ist es extrem wichtig zu hören und einzubeziehen, was die Jugendlichen selbst äußern. Wenn in den Akten erst einmal irgendwas über sie steht, müssen sie schon extrem deutlich werden, damit dass geändert wird.

Das ver.di-Konzept steht auf
http://sozialpolitik.verdi.de/arbeitsmarkt/
recht-auf-ausbildung-und-foerderung


Maren Kaltschmidt


Der Artikel ist erschienen im biwifo report 3/2011


Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Qualifizierung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 24.11.2011