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Billigbildung in Deutschland

Die OECD hat Deutschland mal wieder schlechte Noten in punkto Bildung gegeben: Gerade einmal 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt das „Land der Dichter und Denker“ dafür aus – Tendenz sinkend. Damit rangiert Deutschland zusammen mit Italien, der Slowakei und Tschechien auf einem der letzten Ränge. Spitzenreiter wie Korea und Dänemark lassen sich die Bildung ihrer BürgerInnen dagegen etwa sieben Prozent kosten. Besonders junge MigrantInnen sind in Deutschland schlecht dran: 40 Prozent von ihnen erhalten keine weiterführende schulische oder berufliche Ausbildung. Und in der Weiterbildung rangiert Deutschland laut OECD-Bilanz zusammen mit der Türkei und Korea ebenfalls ganz unten. Während in Finnland, Schweden und Australien etwa 13 Prozent der 30- bis 39-Jährigen für ein Voll- oder Teilzeitstudium eingeschrieben sind, sind es in Deutschland gerade einmal mickrige 2,5 Prozent.

Vor diesem Hintergrund wirkt die Debatte über den Facharbeitermangel in Deutschland grotesk: Ein erheblicher Teil der Bevölkerung wird abgehängt – und zum Ausgleich wollen sich Wirtschaft und FDP-Politiker im Ausland bedienen und von dort gut ausgebildete Kräfte anheuern. Insbesondere arme Länder wie Indien oder Ghana verlieren schon heute durch Abwanderung ihre fähigsten Köpfe. Ausgerechnet ein reiches Land wie Deutschland will die dort geleisteten Bildungsanstrengungen einfach absaugen, an statt für eine ausreichende Ausbildung der eigenen Bevölkerung zu sorgen.

In den Trend, die Kosten für Bildung möglichst niedrig zu halten, passt auch die Ablehnung des Bundesarbeitsministeriums, den Tarifvertrag der Weiterbildungsbranche für allgemeinverbindlich zu erklären. Die Bundesagentur für Arbeit hat in den vergangenen Jahren einen katastrophalen Dumpingwettbewerb befeuert, der nun erst einmal weitergehen kann. Die Gründe für die Ablehnung sind mehrschichtig. Zum einen will die Regierung aus ordnungspolitischen Gründen keine weiteren Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Zum zweiten wäre die Allgemeinverbindlichkeitserklärung einem Eingeständnis der Bundesagentur für Arbeit gleichgekommen, hauptverantwortlich für die fatale Lage zu sein.

Doch es gibt auch brancheninterne Ursachen. Weiterbildung ist in der Öffentlichkeit nicht als einheitliche Branche präsent – mal heißt es Weiterbildung, mal lebensbegleitendes Lernen, mal Erwachsenenbildung mit dem Touch von Volkshochschule. Es fehlt ein mit Autorität ausgestatteter Arbeitgeberverband, der Lobby-Arbeit gegenüber Politik, Finanziers und Wissenschaft betreibt. Stattdessen sind mehrere konkurrierende Dachorganisationen unterwegs, die getrennt beim Ministerium und der Bundesagentur vorsprechen. So brauchte die Regierung nicht zu reagieren. Dass gerade von gewerkschaftlicher Seite ein starker Arbeitgeberverband eingefordert wird, kann deshalb nur auf den ersten Blick überraschen.

Auch wenn dieser Anlauf zu einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gescheitet ist, werden wir an dieser Perspektive festhalten. Und auch das jetzt mehrere Jahre andauernde Ringen – oder doch besser Hängen und Würgen – hat zwei Anknüpfungspunkte hervorgebracht. Die Weiterbildung ist eine Branche, und es wird auch öffentlich so davon gesprochen. Zum zweiten gibt es eine Norm über eine untere Vergütung, nämlich den Branchentarifvertrag. Der ist sehr niedrig – und wer dieses Niveau noch unterschreitet, darf als Billiganbieter öffentlich denunziert werden.

Roland Kohsiek und Annette Jensen


Quelle: biwifo report 3/2010

Sie können die vollständige Ausgabe des biwifo reports hier als pdf-Datei herunterladen.

Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Weiterbildung, Mindestlohn
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 20.11.2010