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OECD-Studie: Beruflichen Bildung in Deutschland

Das Übergangssystem komplett abschaffen

Die (OECD) hat gestern in Berlin erstmals eine Studie zur beruflichen Bildung in Deutschland vorgelegt. Darin kommt sie insgesamt zu einem positiven Ergebnis. Vor allem beurteilen die Forscher das duale Ausbildungssystem, das Lernen im Betrieb und in der Schule verbindet, als sehr gut. Teilt die IG Metall das Lob der OECD?

Klaus Heimann Die IG Metall sieht ihre Berufsbildungspolitik durch den neuen OECD-Bildungsbericht bestätigt. Die Entwicklung von modernen und qualitativ hochwertigen Berufen hat dazu geführt, dass Deutschland im internationalen Vergleich von 17 Staaten eine Spitzenposition in der beruflichen Bildung erreicht hat. Der Vergleich zeigt, dass aufgrund des Qualifizierungssystems die Jugendarbeitslosigkeit hierzulande mit knapp zehn Prozent nur halb so groß ist, wie im OECD-Schnitt mit fast 20 Prozent.

Das deutsche Berufsbildungssystem vermittelt offensichtlich Qualifikationen in einem breiten Spektrum von Berufen und passt sich durch die permanente Veränderung der Berufsbilder flexibel an die sich wandelnden Arbeitsmarkterfordernisse an.Kein anderer Bildungsbereich hat ein so aktuelles Curriculum wie die berufliche Bildung im Betrieb.

Welche Rolle speieln dabei die Gewerkschaften?

Klaus Heimann Die OECD stellt fest, dass die Berufsbildung in Deutschland in der Gesellschaft verankert ist und hohes Ansehen geniest - das ist sicher mit das Verdienst der Gewerkschaften. Deshalb ist es auch nur folgerichtig, dass die OECD eine der größten Stärken des dualen Systems darin sieht, dass es ein sehr aktives Engagement der Arbeitgeber und Gewerkschaften gibt. Ja, sie sind es, die das duale System tragen.

Berufsbildung in Deutschland hat ein komplexes Geflecht von Kontrollen und Gegenkontrollen auf Bundes-, Länder-, Gemeinde- und Betriebsebene, das aber notwendig ist, um die wirksame Mitbestimmung der Gruppen sicherzustellen. Beachtlicher Nebeneffekt: Dadurch wird gewährleistet, dass die allgemeineren bildungs-politischen und wirtschaftlichen Ziele nicht durch kurzfristige Bedürfnisse seitens der Arbeitgeber verdrängt werden. Die OECD, eine traditionell eher schulisch/hochschulisch orientierte internationale Einrichtung, hat erstmals die zentralen Elemente unserer Form der Berufsausbildung erkannt und auch richtig zugeordnet. Dafür mein Kompliment an die OECD.

Allerdings gibt es auch Kritik am deutschen Ausbildungssystem: Über ein Drittel der Schulabgänger landen zunächst in einem kaum überschaubaren "Übergangssystem". Die OECD kritisiert "einen Dschungel von Maßnahmen".

Klaus Heimann Das Übergangssystem mit knapp 450.000 Jugendlichen und 193 völlig undurchschaubaren, nebeneinander agierenden Maßnahmeprogrammen ist wirklich ein großes Ärgernis. Ein Skandal ist, dass Jugendliche, die dies durchlaufen müssen, nach dieser Bildung schlechtere Bildungsoptionen haben als vorher: Ein vernichtender Tatbestand. Wir sind deshalb dafür, das Übergangssystem komplett abzuschaffen.

Wie soll das gehen?

Klaus Heimann In Hamburg gibt es dafür einen interessanten Plan: Entweder man macht eine Berufsausbildung oder ein Studium. Das Hamburger Ausbildungsmodell mit der Berufsqualifizierung ist ein Ausbildungsangebot für schulpflichtige Jugendliche, die nach dem Besuch der Stadtteilschule, trotz vorhandener Ausbildungsreife und mehrfacher Bewerbungsversuche keinen betrieblichen Ausbildungsplatz gefunden haben. Jugendlichen wird über die Berufsqualifizierung der direkte Zugang in eine Ausbildung ermöglicht. Ziel ist es ausbildungsreifen Jugendlichen eine Ausbildung zu ermöglichen und Warteschleifen im Übergangssystem abzubauen.

Das Hamburger Ausbildungsmodell ist strukturiert in die Berufsqualifizierung als erstem Jahr der Ausbildung. Die Berufsqualifizierung ist ein Ausbildungsangebot in der Schulform Berufsfachschule, orientiert sich jedoch inhaltlich und zeitlich nach den Ordnungsmitteln des jeweiligen Ausbildungsberufs und wird an den Lernorten berufsbildende Schule und Betrieb durchgeführt. Oberstes Ziel bereits während beziehungsweise nach der Berufsqualifizierung ist der Übergang in eine betriebliche Ausbildung. Gelingt dieser Übergang nicht, findet eine, bei Anrechnung des ersten Ausbildungsjahres, aufbauende trägergestützte Berufsausbildung mit einem Berufsausbildungsvertrag statt. Auch in dieser Ausbildungsphase wird der flexible und zeitnahe Übergang in eine betriebliche Ausbildung angestrebt

Zum Ausbildungssystem gehört auch das Studium. Hier kritisiert die OECD, dass Deutschland trotz einer Zunahme bei den Studienanfängern und Absolventen im internationalen Vergleich immer noch zu wenig junge Menschen studieren. Zudem sei die Quote der Studienabbrecher hoch. Etwa jeder dritte Student gibt vor dem Examen auf.

Klaus Heimann Die Öffnung der Hoch- und Fachhochschulen für Absolventen der beruflichen Bildung auch ohne Abitur war aus Sicht der IG Metall ein sinnvoller Schritt. Allerdings muss geeigneten Rahmenbedingungen an den Hochschulen mehr Beachtung geschenkt werden. Nach Auffassung der IG Metall brauchen wir mehr berufsbegleitende Studiengänge, veränderte Curricula und ein reformiertes BAföG ohne jegliche Altersgrenze.

Bei der Ingenieurausbildung müssen stärkere Bemühungen zur Gewinnung von Nachwuchs eingeschlagen werden. So ist es nicht akzeptabel, dass weniger als ein Prozent der beruflich Qualifizierten ohne Abitur ein Studium an einer Universität aufnehmen (Fachhochschulen:1,8 Prozent). Die hohen Abbrecherquoten bei dieser Gruppe und der insgesamt geringe Anteil an Menschen, die mit Mitte bis Ende 30 noch ein Studium beginnen, zeigen, dass dieses Thema ausgebaut werden muss. Sehr viele Azubis absolvieren nach einer Lehre ein Ingenieurstudium. Diese Form der Doppelqualifikation muss aus Sicht der IG Metall stärker genutzt werden. Hier gibt es noch brachliegende Nachwuchspotenziale.

Die IG Metal fordert seit längerem mehr Qualität im Studium. Wo liegen die Probleme?

Klaus Heimann Da ist erstens das nicht gelöst Problem des "Turbo-Bachelors". Eine der entscheidenden Fragen bei der Umgestaltung der Studiengänge ist, ob ein Bachelorstudium in sechs Semestern die Qualifikationsziele einlösen kann, zugleich praxisorientiert sein und Möglichkeiten für einen Auslandsaufenthalt schaffen - und zugleich "studierbar" im Sinne einer zu vertretenen Belastung und einer ansprechenden und sinnvollen Didaktik. Der sechssemestrige Bachelor ist im Sinne der Qualitätssicherung abzulehnen.

Es fehlen zweitens wichtige Aussagen zur Qualität des Studiums, insbesondere in Bezug auf Kompetenzorientierung und Lernergebnisse. Ein Studium, das Studierende auch auf Arbeitsmärkte jenseits der Hochschulen vorbereiten soll und das sich als "wissenschaftliche Berufsausbildung" versteht, muss hier Antworten gaben.

Und drittens wird die soziale Lage der Studierenden nicht beachtet und es werden keine Rückschlüsse auf die Gestaltung der Studienprogramme gezogen. Die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks offenbart, dass der überwiegende Teil der Studierenden aufgrund der hohen finanziellen Belastungen und der unzureichenden Studienförderung neben dem Studium zum Teil erhebliche Zeitanteile für den zusätzlichen Gelderwerb ausgeben muss. Daraus ist zu folgern, dass Studiengebühren dort abgeschafft werden müssen, wo sie noch existieren, die Studienförderung nachhaltig verbessert und Studienprogramme an die Realität eines Teilzeitstudiums großer Teile der Studierenden angepasst werden.

Die OECD hält Deutschland vor, es müsse mehr gegen den drohenden Fachkräftemangel tun. Laut Studie haben Fachkräfte mit einem akademischen Abschluss auf dem Arbeitsmarkt weit besser Chancen als jene mit einem "einfachen" Berufsabschluss. Zeichnet sich hier das Aus für die klassische Berufsausbildung ab?

Klaus Heimann Nein, diese Schlussfolgerung würde ich so nicht ziehen. Eins ist aber klar: Jugendliche, die mit irgendwelchen Berufsvorbereitungen abgespeist werden, keinen qualifizierten Ausbildungsberuf erlernen, die werden in Zukunft die Verlierer in der Arbeitswelt sein. Auch beim Thema Weiterbildung entscheidet sich einiges unwiderruflich: Wer als Arbeitnehmer nicht kontinuierlich am Ball bleibt, also Weiterbildungszeiten nicht in den Berufsverlauf integriert, der hat schlechtere Karten, als die anderen, die dies tun.

Es liegt also in der Verantwortung der Beschäftigten?

Klaus Heimann Nicht nur. Es geht auch darum, das betrieblich organisierte duale System weiter auszubauen und wettbewerbsfähig mit der wissenschaftlichen Berufsausbildung zu machen. Wir müssen endlich Schluss damit machen, fragwürdige Mini-Berufe in die Welt zu setzen, vorhandene Berufe durch neue und dazu noch schlechtere, zu kannibalisieren. Wir brauchen europäisch entwickelte Kernberufe, die sind absolut wettbewerbsfähig. In der wissenschaftsorientierten Welt zählt nicht nur Wissen, sondern entscheidender sind Handlungskompetenzen. Die Absolventen des dualen Systems erlernen diese berufliche Handlungskompetenz. Sie sind damit gegenüber Hochschulabsolventen absolut gleichwertig, die diese Kompetenz vielfach erst nach dem Studium erwerben

Die Bildungsausgaben sind in Deutschland weiter auf sehr niedrigem Niveau. In den USA, in Korea und Dänemark liegen die Bildungsausgaben bei über sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts, hierzulande sind es 4,7 Prozent. Gute Schulbildung hängt zunehmend vom Geldbeutel der Eltern ab. Die OECD empfiehlt, Kinder aus armen und bildungsfernen Schichten mehr zu fördern.

Klaus Heimann Ja, es ist wirklich unerträglich, dass in Deutschland der Bildungsstand erblich ist und davon abhängt, ob man reich oder arm. Die Vererblichkeit von Bildung gemäß dem Geldbeutel der Eltern hat sich in jüngster Zeit sogar noch verstärkt. Deutschland war beim Thema Chancengleichheit schon mal weiter. Im internationalen Vergleich sind die Bildungsausgaben in Deutschland weiter viel zu niedrig. Unter den OECD-Ländern gaben nur die Slowakei, Tschechien und Italien einen geringeren Anteil der Wirtschaftsleistung für Bildung aus. Wir müssen also die Bildungsausgaben eindeutig und dramatisch steigern, das ist angesichts der Lage der öffentlichen Haushalte keine ganz leichte Aufgabe.


Quelle: WAP, Homepage der IG Metall

Siehe zu dem Artikel auch:

Recht auf Ausbildung und Förderung, Beschluss des ver.di Bundesvorstands

Zukunft der Bildung, Tagungsbericht der gemeinsamen Verstaltung der Fachbereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung und Besondere Dienstleistungen in ver.di

Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Ausbildung, Lebenslanges Lernen
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 10.09.2010