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Wie entwickelt man DIN- und ISO-Normen für den Weiterbildungsbereich?

Ein lernender Kopf ist kein Staubsauger

Standards für die Aus- und Weiterbildung gibt es schon lange. Sie beschreiben gute Qualität von Bildungsdienstleistungen und -prozessen aus der Sicht der ExpertInnen, die die Methoden ständig weiterentwickeln. Neu ist die Orientierung an Verfahren, die ursprünglich für die Industrie entwickelt wurden. Dort hatten sie traditionell die Aufgabe, in der Großserienfertigung eine einheitliche Qualität der Erzeugnisse zu erreichen. Zwei Dimensionen standen dabei im Zentrum: Die Ergebnis- oder Produktqualität beschreibt typische Merkmale eines „guten“ Produkts, die Prozessqualität „gute“ Arbeitsabläufe, die typischerweise zu einem „guten“ Produkt führen. Aus Sicht der Industrie sind die Kriterien einfach: Was „gut“ ist, bestimmt der Markt.

Die Erfahrungen aus über 50 Jahren standardisierter Qualitätssicherung im produzierenden und Dienstleistungs-Gewerbe sind durchaus durchwachsen: Konzentriert man sich zu sehr auf Produkt- oder Prozessqualität, gerät der jeweils andere Aspekt leicht aus dem Blick: Auch für die legendäre Schwimmweste aus Beton lässt sich schließlich ein perfekter Produktionsprozess beschreiben. Dokumentationspflichten und detaillierte Vorgaben können außerdem leicht zum Selbstzweck verkommen und kreative Verbesserungen verhindern. Aus gesellschaftlicher Sicht kommt hinzu, dass Umwelt- und Gesundheitsschutz nicht automatisch berücksichtigt werden.

Im öffentlichen Sektor spielt Qualitätssicherung seit etwa zwei Jahrzehnten eine wachsende Rolle. Hinzu gekommen ist dabei der Begriff der Strukturqualität. Er beschreibt die Ausstattung einer Einrichtung, die erforderlich ist, um „gute“ Qualität zu liefern.

Nun sagen Werte wie die Zahl der LehrerInnen oder die Öffnungzeiten nicht viel darüber aus, ob die entsprechende Einrichtung gute Bildung fördert – insofern ist Kritik an einer einseitigen Ausrichtung auf solche Merkmale berechtigt. Hinzu kommt, dass die Proklamierung der Ergebnis- und Prozessqualität für die öffentliche Hand attraktiv ist, weil die Verantwortung für Qualitätssicherung nun bei den Institutionen und den dort Beschäftigten liegt: Sie sollen auch bei Mittelkürzungen für eine gleichbleibende Qualität sorgen.

Im Bildungssektor wirft die Einführung formalisierter Qualitätssicherungsverfahren spezifische Probleme auf: Wenn man den Bildungsanspruch ernst nimmt und individuellen Anforderungen gerecht werden will, lassen sich Abläufe kaum standardisieren. Andererseits ist eine konsequente Ausrichtung an den Wünschen „des“ Kunden schwierig, weil der gesellschaftliche Auftrag nicht notwendig mit den subjektiven Interessen der NutzerInnen übereinstimmt. Bestes Beispiel ist die Schulpflicht.

Dennoch orientieren sich auch öffentliche Bildungseinrichtungen zunehmend an Normen, die ursprünglich für die Industrie entwickelt wurden. Sowohl DIN ISO 9001 als auch das von der „European Foundation for Quality Management“ entwickelte Konzept des Total Quality Management (TQM) legen Standards für Qualitätsmanagementsysteme fest. Insbesondere für Bibliotheken, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen, die durch stark standardisierte Abläufe gekennzeichnet sind oder eine hohe fachliche Affinität zur industriellen Produktionslogik aufweisen, sind solche Normen attraktiv. So haben die TH Wildau und die HS Regensburg ein TQM-orientiertes Qualitätsmanagement eingeführt. Sowohl die Fakultät Maschinenbau der TU Chemnitz als auch mehrere Fakultäten und die Verwaltung der FH Hannover wurden nach DIN ISO 9001 zertifiziert. Mit der DIN ISO 29990:2010 gibt es mittlerweile auch eine Norm für die Qualität von „Lerndienstleistungen in der Aus- und Weiterbildung“.

Das alles muss nicht grundsätzlich falsch sein: Formalisierte Verfahren können eine nützliche Hilfe bei der Verbesserung von Bildungsprozessen sein, wenn sie ein Instrument dazu sind. Werden sie jedoch, wie inzwischen vielfach zu beobachten, selbst zum Steuerungsprinzip, ist das Ergebnis nicht gute, sondern billige Bildung, Massenabfertigung statt individueller Entwicklung. Hier gilt es, einen Bildungsbegriff entgegenzusetzen, der die Qualität des lebenslangen Lernens für jede und jeden Einzelnen erfahrbar macht. Bildung ist schließlich kein Massenprodukt wie Schrauben oder Staubsauger.


Von Christoph Heumann

Quelle: biwifo-report 2/2010

Sie können den vollständigen biwifo-report hier als pdf-Datei herunterladen.


Ausführliche Informationen zum Qualitätsmanagement finden Sie im Artikel,
Problem: Qualitätsmanagement, Prozessorientierung, Beherrschbarkeit und Null-Fehler-Abläufe als moderne Mythen von
von Bettina Warzecha

Verweise zu diesem Artikel:
Schlagworte zu diesem Beitrag: Weiterbildung
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 16.07.2010