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Zukunftsaufgabe Weiterbildung

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 28 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der LINKEN
Zukunftsaufgabe Weiterbildung
- Drucksache 16/785 -

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Volker Schneider von der Fraktion Die Linke.

Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die große Koalition kündigt im Koalitionsvertrag an, die Weiterbildungsbeteiligung, insbesondere die sozial Benachteiligter, zu erhöhen. Mittelfristig will die Koalition die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems machen und mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen eine Weiterbildung mit System etablieren. Hinsichtlich dieser Zielsetzung dürfen Sie auf die volle Unterstützung meiner Fraktion rechnen. Wir werden nicht überkritisch darauf hinweisen, dass das Säulenmodell eigentlich den Stand der Fachdiskussionen in den 70er-Jahren und den 80er-Jahren reflektiert. Wir hoffen allerdings, dass die Ergebnisse der jetzigen Fachdiskussion vor 2030 Eingang in die politischen Diskussionen finden.

Warnen müssen wir aber vor Tendenzen in den Ausführungen des Koalitionsvertrags, einseitig Aspekte der ökonomischen Verwertbarkeit von Weiterbildung in den Vordergrund zu stellen. Neben der beruflichen sind die allgemeine, die politische und die kulturelle Weiterbildung ein Schlüssel für individuelle Lebenschancen, berufliche Entfaltung, kulturelle Teilhabe und gesellschaftliche Innovation.

Nun sind Ankündigungen das eine; die Wirklichkeit ist aber eine andere Sache. Nicht, dass hier ein weiterer Leuchtturm, nämlich ein strahlender Leuchtturm der Ankündigungspolitik, entsteht. Denn so sieht die Realität aus: Erstens. Die berufliche Weiterbildung seitens der Bundesagentur für Arbeit ist dramatisch zurückgegangen. Waren es 2002 noch 300 000 Teilnehmer, sind es heute gerade noch 100 000.

Zweitens. Einher geht dieser Rückgang mit zahlreichen Insolvenzen und Trägerzusammenbrüchen. Der von der Bundesagentur für Arbeit gewollte und von der Bundesregierung geförderte Dumpingwettbewerb hat nicht nur zum Verlust von 30 000 Arbeitsplätzen in diesem Bereich geführt, sondern auch zu Hungerlöhnen, die oft lediglich auf Honorarbasis gezahlt werden.

Drittens. Auch der Haushaltsansatz 2006 deutet keine Verbesserungen an. Mit 38 Millionen Euro wird die Koalition ihre ehrgeizigen Ziele nicht erreichen können. Wie soll etwas Neues finanziert werden, wenn die Mittel für lebenslanges Lernen und Weiterbildung um 14 Millionen gekürzt werden?

Viertens. Am wenigsten nachzuvollziehen und zu akzeptieren sind die drastischen Kürzungen der Mittel für die Integrationskurse im Haushalt des BMI.
(Beifall bei der LINKEN)
Dies ließe sich fortsetzen. Aber meine Redezeit zwingt mich zur Zurückhaltung. Aufgrund dieser zeitlichen Beschränkung will ich nur kurz auf die Vorschläge meiner Fraktion eingehen. Ich gehe einmal davon aus, dass zumindest die Bildungspolitiker unter Ihnen unseren Antrag sehr sorgfältig gelesen haben.

Erstens. Wer eine vierte Säule schaffen will, müsste zuallererst die Zuständigkeiten klären. Nur die berufliche Bildung ist durch das Grundgesetz eindeutig zugewiesen, und zwar der Kompetenz des Bundes. Dies sollte auch für die weiteren Bereiche der Weiterbildung im Rahmen der Föderalismusreform geregelt werden.

Zweitens. Dies könnte dann die Vorlage eines Gesamtkonzeptes für die Weiterbildung mit bundeseinheitlichen Rahmenregelungen ermöglichen.

Drittens. Dringend ist mehr Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Planungssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. Dies gilt insbesondere für die Beschäftigten in der Weiterbildung.

In dieser Woche habe ich auf einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Träger der beruflichen Weiterbildung die Ausführungen einiger der mir nun folgenden Rednerinnen und Redner verfolgt. Nach dem, was Frau Hinz und Herr Rossmann dort gesagt haben (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]. Das war eine gute Veranstaltung, nicht?)
- deshalb erwähne ich es hier ausdrücklich -, müsste es heute große Zustimmung zu unserem Antrag geben. Oder werden Sie unseren Antrag nach dem leider häufig anzutreffenden Motto "Guter Antrag, aber falsche Antragsteller" behandeln?
(Zuruf von der SPD: Können Sie mal davon sprechen, warum Sie unsere Anträge immer ablehnen?)

Wie auch immer Sie mit dem Antrag umgehen, ersparen Sie meiner Fraktion und den Zuhörern zumindest den oft erhobenen falschen Vorwurf, die Linke veranstalte ein Wunschkonzert und mache sich keine Gedanken um die Finanzierung. In den parallel stattfindenden Haushaltsberatungen haben wir die finanziellen Auswirkungen unserer Vorschläge korrekt beziffert und einen annehmbaren Vorschlag zur Finanzierung durch Umschichtung vorgelegt.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen ruhige und besinnliche Ostertage. (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Alexander Dobrindt das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Alexander Dobrindt (CDU/CSU):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es steht außer Frage, dass das Thema Weiterbildung in der Zukunft mehr Bedeutung haben wird, als es - zumindest bei uns - ohnehin schon hat.

Dafür gibt es eine ganze Reihe wichtiger Gründe; das ist wahr. Ein Grund ist, dass man heute nicht mehr davon ausgehen kann, dass man den einmal erlernten Beruf sein Leben lang fortführen kann. Dafür gibt es genügend Beispiele. Als ich jung war, war Fotolaborant ein ganz normaler Ausbildungsberuf. Ich kenne heute keinen Menschen mehr, der diesen Beruf ausübt, geschweige denn eine entsprechende Lehre anbietet.

Offensichtlich besteht ein Zusammenhang zwischen dem Fortbildungsniveau und der Arbeitslosenquote bzw. der Dauer des Verbleibs in der Arbeitslosigkeit. Dieser Zusammenhang zwingt uns dazu, dieses Thema sehr ernst zu nehmen. Auch der Abschlussbericht der Expertenkommission "Finanzierung Lebenslangen Lernens" hat sehr deutlich gezeigt, dass das Risiko der Arbeitslosigkeit durch die Teilnahme an Fortbildungen signifikant sinkt. Benjamin Franklin hat gesagt:

Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen.
Dieser Ausspruch hat seine Gültigkeit nicht verloren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Genau deswegen hat die Koalition dem Thema Weiterbildung in ihrem Koalitionsvertrag einen ganz besonderen Stellenwert eingeräumt. Wir haben uns vorgenommen, die Weiterbildungsbeteiligung insgesamt zu erhöhen. Außerdem haben wir uns vorgenommen, ein Modell für das Bildungssparen zu entwickeln, das die Finanzierung von Weiterbildung auf neue Beine stellt und damit mehr Menschen die Chance gibt, an Weiterbildungsmaßnahmen zu partizipieren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dass dies nötig ist, zeigt auch ein Bericht, der vor wenigen Wochen in der "Financial Times Deutschland" erschien. Unter der Überschrift "Deutsche kümmern sich nicht um Weiterbildung" wird beklagt, dass die Quote der Teilnehmer an Weiterbildungskursen in den letzten Jahren rückläufig ist. Dagegen kann man nichts sagen; das ist eine Tatsache. In diesem Zusammenhang darf man allerdings nicht vergessen, dass Weiterbildung heute nicht nur in Kursen stattfindet. Eine ganze Reihe von Weiterbildungsmaßnahmen findet heute direkt in den Betrieben, in der konkreten Arbeitssituation statt: Ein Kollege, der auf einer Schulung etwas gelernt hat, zum Beispiel die Bedienung von Maschinen, gibt sein Wissen an andere direkt weiter.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Auch das selbstständige Lernen gewinnt durch die neuen Medien, zum Beispiel durch das Internet, immer mehr an Bedeutung. Dadurch ergeben sich natürlich Substitutionseffekte. Auch das mag eine Erklärung dafür sein, dass die Teilnahme an Kursen momentan rückläufig ist.

Trotzdem müssen wir diese Entwicklung sehr ernst nehmen, weil wir den Weiterbildungsbereich schon aufgrund des demografischen Wandels deutlich forcieren müssen. Um ein Beispiel zu nennen: Das Erwerbspersonenpotenzial der über 50-Jährigen wird bis zum Jahr 2020 um 50 Prozent steigen, und das bei einem ansonsten annähernd konstanten Erwerbspersonenpotenzial. Das heißt, der Anteil der über 50-jährigen Erwerbspersonen wird von 22 Prozent im Jahr 2000 auf über 36 Prozent im Jahr 2020 steigen.

Angesichts dieses Anstiegs ist es umso bedrückender, dass gerade diese Personen, die Älteren, in der Arbeitswelt diejenigen sind, die an Weiterbildungsmaßnahmen am wenigsten teilnehmen. Deswegen müssen wir unser Augenmerk auf diese Gruppe richten und wir müssen für die älteren Arbeitnehmer Anreize schaffen, an Weiterbildungen teilzunehmen.

Hinzu kommt die Ehrlichkeit, den Menschen jetzt zu sagen, dass das tatsächliche Renteneintrittsalter nach und nach an das gesetzliche Renteneintrittsalter herangeführt wird. Viele knapp über 50-Jährige glauben immer noch: Weiterbildung muss jetzt vielleicht nicht mehr sein; die paar Jahre komme ich schon noch durch; das klappt schon.

Das Ergebnis wird heute ein anderes sein. Der alte Spruch "Das braucht's bei mir nimmer" wird so keine Gültigkeit mehr haben.
Aber es gibt noch eine ganze Reihe von anderen Gründen, die den Menschen den Zugang zum Weiterbildungssystem versperren. Ein Grund sind die heute nicht vorhandenen finanziellen Möglichkeiten bei sinkenden Einkommen; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Ein anderer Grund ist, dass gerade kleinere Unternehmen in aller Regel überhaupt keine Weiterbildungskultur haben, wie man sie bei größeren Unternehmen vorfindet. So gibt es noch eine ganze Reihe von anderen Dingen mehr.

Diesen Barrieren werden wir uns in der Koalition sehr schnell nähern. Wir werden einen Teil dieser Barrieren aus dem Weg räumen. Wir werden politisch allerdings nicht alles aus dem Weg räumen können, was wir an Barrieren erkennen; wir müssen den Einstieg schaffen.

Ein zentrales Modell, diesen Einstieg in mehr Weiterbildung zu schaffen, wird das Bildungssparen sein. Wir sind dabei, ein System zu konkretisieren, für das man als Vorbild vielleicht das Vermögensbildungsgesetz andenken kann, also gezieltes monatliches Ansparen für eine Weiterbildungsmaßnahme. Das heißt ganz konkret, man könnte einen Teil dessen, was wir heute als vermögenswirksame Leistungen kennen, mit einer kürzeren Bindewirkung versehen, wenn es dann für Weiterbildung verwendet wird.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ein weiterer Punkt, den wir zurzeit überlegen, ist die Schaffung eines Weiterbildungskredits - ähnlich einem Studienkredit -, unter Einbindung der KfW. So geben wir den Leuten die Möglichkeit, mit Kreditleistungen ihre Weiterbildung zu finanzieren.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Auf jeden Fall wollen wir die Grundlagen für eine finanzielle Neuausrichtung schaffen. Wir wollen, dass Bindewirkungen für finanzielle Mittel entstehen.

Wir wollen erreichen, dass in den Köpfen der Leute Weiterbildung wieder eine größere Rolle spielt. Wir müssen das Thema an die Menschen heranbringen. Einer der wichtigen Aspekte dabei ist, auch zu erkennen: Wir schultern das nicht allein politisch. Wir brauchen die Menschen dazu. Wir brauchen auch die Unternehmen dazu.

Wenn ich heute mit Unternehmern rede, dann sagen sie mir: Weiterbildung ist ein wichtiger Punkt. Die Kosten, die mit der Weiterbildung verbunden sind, sind nicht das direkte Problem. Das können wir finanzieren. Daraus haben wir auch Vorteile. Das sind Effektivitätsgewinne, motiviertere Mitarbeiter, Produktivitätsgewinne. Alles das ist vorhanden. Das Problem, das wir haben, ist der Faktor Zeit.

Das heißt, die Mehrzahl der Kosten ist mit der Abwesenheit der Mitarbeiter verbunden. Das Doppelte bis Dreifache der Kosten, die wir heute in der Weiterbildung haben, ist nicht durch die Maßnahme selbst verursacht, sondern durch die Abwesenheit der Leute vom Arbeitsplatz.

Das können wir beim besten Willen nicht politisch lösen, auch wenn die PDS es vielleicht gern hätte, dass der Staat alle diese Probleme lösen könnte. Weiterbildung ist heute nicht in jedem Fall eine Sozialleistung des Staates. Sie sollte es auch nicht sein. Wir brauchen in hohem Maße die Erkenntnis der Menschen, dass Weiterbildung ihnen bei der Bewältigung der derzeitigen und künftigen Lebensanforderungen hilft.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn sie das erkennen, dann werden sie bereit sein, einen höheren Eigenbeitrag zu leisten.
Unsere Aufgabe ist es also, die Erkenntnis zu befördern und Anreize zu geben. So werden wir die Menschen vielleicht davon überzeugen können, dass man mit Arbeitszeitkonten auch etwas ansparen kann und seinen Eigenbeitrag leisten kann. Wir wollen die Eigeninitiative nicht ausblenden. Wir wollen, dass die Menschen sich selber deutlich einbringen. Die Politik muss die Rahmenbedingungen dazu schaffen.

Dazu haben wir eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. Wir haben in der letzten Wahlperiode das Berufsbildungsgesetz gemeinsam mit der SPD novelliert.
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit den Grünen!)

Wir haben den stufenweisen Ausbau der Ausbildung da hineingebracht.
Wir brauchen langfristig auch ein Konzept der Weiterbildung, das modular aufgebaut ist, also ein Konzept des lebensbegleitenden Lernens mit Modulen. Bei uns in Bayern heißt es immer: "G'lernt ist g'lernt". Das stimmt. Allerdings muss man erkennen, dass wir bei dem "G'lernt ist g'lernt" mehr Transparenz hineinbringen müssen, weil wegen der Konkurrenz der Arbeitnehmer untereinander heute auch das Erkennen des Gelernten durch andere eine größere Rolle spielt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Wir arbeiten also an einem System, das Weiterbildung nachvollziehbar macht, das eine Verlängerungswirkung in Bezug auf Qualifikation hat und das das Verfallsdatum der Bildung - so schwer verständlich das auch klingt - aufheben kann.

Zusammengefasst möchte ich sagen, dass uns drei Dinge im Besonderen wichtig sind: Wir brauchen eine aktive Weiterbildung als einen entscheidenden Standortvorteil für die Menschen und für die Wirtschaft in unserem Land. Wir werden diesen Standortvorteil ausbauen, weil wir die richtigen Rahmenbedingungen setzen, zum Beispiel mit dem Bildungssparen. Wir werden die Menschen dazu bringen, die Entwicklung zum lebensbegleitenden Lernen aufzunehmen und Eigeninitiative mitzubringen. Das sind die drei wesentlichen Punkte, die wir aus dieser Debatte mitnehmen müssen. Dann sind wir auf einem guten Weg, die Menschen mit mehr Weiterbildung auch zukünftig lernbereit zu halten.
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat der Kollege Patrick Meinhardt das Wort für die FDP-Fraktion.

Patrick Meinhardt (FDP):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Gesellschaft des lebenslangen Lernens, das ist die wirkliche Herausforderung in der Bildung für die Bundesrepublik Deutschland. Die Zeiten sind sicherlich endgültig vorbei, in denen es hieß: Schule, Abschluss, Beruf. Diese Lebensbiografien sind Vergangenheit.

Die Bundesregierung mit ihrem Koalitionsvertrag und die Antragsteller mit ihrem Ziel eines Gesamtkonzepts Weiterbildung stimmen hier mit der FDP und ihren zahlreichen Initiativen in der vergangenen Legislaturperiode überein: Die Weiterbildung muss zur vierten Säule unseres Bildungssystems werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das war es dann bezüglich der Übereinstimmung aber auch schon. Hier endet der Konsens mit dem Antrag der Linken. Den Forderungen, die Sie in Ihrem so genannten Weiterbildungskonzept anführen, können wir uns in vielen Bereichen nicht anschließen. Sie formulieren erstens - ich zitiere -:
Um Offenheit, Lernbereitschaft ... zu fördern, tritt der Deutsche Bundestag dafür ein, die Weiterbildungsbeteiligung ... zu erhöhen.

Jetzt aber würde es erst interessant werden: Wodurch, womit und mit welchen Mitteln? Selbst Sie scheuen sich davor, Zwangskurse vorzuschlagen. Mit welchem konkreten Mittel soll das also geschehen?

Zweitens. Auch die weiteren Forderungen sind abzulehnen, da sie unkalkulierbare Folgen für den Haushalt nach sich ziehen würden. Ein Recht auf Weiterbildung, das hier garantiert werden soll, existiert in der Bundesrepublik Deutschland doch schon längst. Jede Bürgerin und jeder Bürger hat natürlich schon jetzt das Recht, an Kursen der Volkshochschule oder an Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung teilzunehmen.

Was Sie mit Ihrem Antrag eigentlich kritisieren wollen, steht dort leider nicht. Sie haben es jetzt in Ihren Ausführungen erwähnt. Wir alle wissen um die Bedeutung der Weiterbildung. Trotzdem haben wir es in den vergangenen Jahren, von 2001 bis 2006, zugelassen, dass die Zahl der Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen von 370.000 auf sage und schreibe 106.000 Teilnehmer zurückgegangen ist. Hier hätten wir in der Vergangenheit schon längst mit einer sinnvollen und notwendigen Weiterbildungsoffensive richtige Zeichen setzen können.
(Beifall bei der FDP)

Drittens. Auch wenn Sie eine "ausreichende Finanzierung eines bedarfsgerechten Angebots" fordern, fehlt uns, dass Sie weder definieren, was Bedarf ist, noch, was "bedarfsgerecht" ist, noch, was unter "ausreichend" verstanden wird. Dieser Antrag offenbart Ihren Anspruch an einen Staat, der sich in alle Belange einmischen darf und alle Belange mitfinanzieren muss. Das ist ein Denken, das den Ansprüchen unserer heutigen Zeit nicht mehr gerecht wird.
(Beifall bei der FDP)

Für uns ist es wichtig, die richtigen Fragen am richtigen Ort zu stellen. Wir als FDP haben uns erst letzte Woche mit allen Beteiligten - den Verbänden, der Wissenschaft sowie den Sozialpartnern inklusive Verdi und GEW - zusammengesetzt, um die wirklich drängenden Fragen zur Zukunft der Weiterbildung zu beraten, denen sich auch dieses Parlament stellen muss. Diese sind: Welche politischen Maßnahmen müssen ergriffen werden, um den Stellenwert und die Akzeptanz der Weiterbildung zu vergrößern? Wie kann die Finanzierung der Weiterbildung auf solide Grundlagen gestellt werden? Wie kann die Politik mithelfen, den Schlüsselaufgaben E-Learning und Wissensmanagement gerecht zu werden? Wie können die Weiterbildungs- und insbesondere die Nachqualifizierungsangebote effizienter werden? Das sind die Fragen, die wir in der letzten Woche hier mit den Fachleuten erörtert haben und denen wir uns auch in diesem Hohen Haus stellen müssen.

Ausgehend von diesen Fragen werden wir als FDP-Fraktion eine ganze Reihe von parlamentarischen Initiativen starten:

Erstens. Im aktuellen Haushalt wollen wir erreichen, dass die zukunftsweisende Lernform des E-Learnings nicht weniger Mittel erhält, sondern verstärkt finanziell gefördert wird. Denn gerade dieser virtuelle Bildungsraum ist der Bildungsraum der Zukunft und muss ein Schwerpunkt im Bereich der Weiterbildung sein.
(Beifall bei der FDP)

Zweitens. Wir brauchen das Gesetz zur Weiterbildungsfinanzierung. Dabei geht es, wie korrekt angesprochen, um das Bildungssparen, aber auch um den nächsten Schritt, nämlich um die Absicherung der Weiterbildungskonten bei Insolvenz von Arbeitgebern. Beides muss zusammenkommen.

Drittens. Die Teilnehmer der FDP-Anhörung hatten eine ganze Reihe von Zweifeln an der Weiterbildungspolitik der Bundesagentur für Arbeit. Deshalb ist es für uns als FDP klar: Die Bundesagentur für Arbeit muss in ihrer Weiterbildungspolitik kritisch, sogar sehr kritisch überprüft werden.
(Beifall bei der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir hier in diesem Parlament der Weiterbildung einen deutlich höheren Stellenwert geben wollen, sollten wir uns über die Fraktionsgrenzen hinweg auf eine umfassende Anhörung zum Themenbereich Weiterbildung einigen. Damit würden wir dem Thema den Stellenwert geben, den es braucht, um dann die richtige Weiterbildungsstrategie zu entwickeln.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun hat der Kollege Dr. Ernst Dieter Rossmann das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)

Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Linksfraktion hat den Aufschlag gemacht für die Weiterbildungsdiskussion, die wir jetzt zu führen haben. Diese Diskussion hatten wir allerdings schon in der Vergangenheit. Ich möchte zum Verfahren, zu Inhalten und zur strategischen Einordnung einige Bemerkungen machen.

Was das Verfahren angeht, so muss ich sagen, dass wir eine Restgröße aus der letzten Legislaturperiode noch abzuarbeiten haben. Das ist die Anhörung im Ausschuss zum Bericht der so genannten Timmermann-Kommission.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es ist tatsächlich überfällig, das jetzt in Angriff zu nehmen. Dies gilt umso mehr, als wir als Koalitionspartner mit Offenheit und durchaus mit Freude zur Kenntnis nehmen, dass die Ministerin einen Rat für Weiterbildung angekündigt hat, nachdem schon ein Rat für berufliche Bildung eingerichtet wurde. Es ist wichtig, dass sich das Parlament in diese Diskussion einbringt, was die Zielsetzung und die zentralen Fragestellungen angeht, damit all dies zusammenfließen kann. Es wird auch eine Ausschussaufgabe sein, diese Punkte mit der Ministerin zu erörtern.

Ihre Frage bezüglich der beruflichen Bildung berührt die Nahtstelle zwischen beruflicher Bildung und Weiterbildung. Das gilt speziell für die Nachqualifizierung junger Erwachsener ohne Schul- und Ausbildungsabschluss. Dazu gehören ferner die optimale Verzahnung und die Durchlässigkeit vom beruflichen Bereich zum Hochschulbereich. Wir möchten, dass die entsprechenden Maßnahmen zusammen mit dem Parlament entwickelt werden. Dies ist umso wichtiger, als die Ministerin wie die gesamte Regierung im Jahr 2007 die Aufgabe hat, die EU-Präsidentschaft wahrzunehmen. Dazu gehört, dass das lebenslange Lernen als ein zentrales Thema der Europäischen Union ausgestaltet werden muss. Diese Entwicklungen müssen also zusammenlaufen. Wir als Parlamentarier wollen uns daran beteiligen. Ihr Antrag gibt dem noch einmal einen Schub.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir haben uns als Bildungspolitiker einzubringen - das klang von vielen Seiten, auch vonseiten der FDP schon an -, wenn es aus bildungspolitischer Sicht um Korrekturen beim so genannten Hartz-Prozess geht. Wir hätten uns manches ersparen können, hätten wir damals mehr Zeit gehabt, nachzudenken.
(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])

Das soll eine Aufforderung sein, wenigstens jetzt gründlich nachzudenken. Ich denke im Zusammenhang mit dem Bildungsbereich und der Hartz-Gesetzgebung an die Bindungswirkung der Gutscheine, an die Vergabedauer von Aufträgen, an die Losgrößen und auch an die Qualitätsstandards, die man dem Personal in Sachen Bezahlung und Ausstattung zusichern muss. Wir müssen manches ernsthaft weiterverfolgen, damit es in diesem Bereich zu Korrekturen kommt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir bitten, dass sich auch die CDU/CSU darauf einlässt, mit uns zusammen Korrekturen in diesem Bereich zu ermöglichen.

Dieses Zusammenfließen ist ein Prozess. Wir werben dafür, dass alle Seiten dafür Verständnis haben, dass dieser Prozess nicht so schnell zu Ergebnissen führen kann. Denn in der letzten Legislaturperiode haben wir zusammen mit dem Bündnis 90/Die Grünen erlebt, dass sich die Erfolge in den sieben Jahren unserer Regierungszeit nur schrittweise eingestellt haben. In der Stunde Null lag nicht gleich das fertige Ergebnis vor. Aber durch die systematische Erarbeitung von Bausteinen sind wir zu guten Ergebnissen gekommen. Denken Sie daran, dass wir das Meister-BAföG und das Zuwanderungsgesetz als Leistungsgesetze im Weiterbildungsbereich ausbauen konnten! Denken Sie daran, dass wir zusammen mit der Stiftung Warentest unter Einbeziehung von Bildungstestaufgaben und Instrumenten der Qualitätssicherung bei der Bundesagentur für Arbeit neue Qualitätsstandards gesetzt haben! Denken Sie ferner daran, dass wir mit dem Programm "Lernende Regionen - Förderung von Netzwerken" und mit dem Aktionsprogramm "Lebensbegleitendes Lernen für alle" vorankommen konnten.

In diesem Sinne gibt es in dieser Legislaturperiode keine Stunde null, sondern den gleichen Aufbau mit dem zentralen Baustein, die Säule Weiterbildung zu verstärken, um in Zukunft neue Chancen zu eröffnen.

Kollege Dobrindt hat im Zusammenhang mit der Koalitionsvereinbarung dargestellt, dass wir in drei zentralen Bereichen zusätzliche Bausteine einführen wollen. In einem ersten Feld geht es um erste und zweite Chancen. Wenn Sie sich das Arbeitsprogramm der Ministerin ansehen, dann stellen Sie fest, dass dort ausdrücklich von dem Programm "Grundbildung Erwachsener" die Rede ist, mit dem Menschen, die die Grundfähigkeiten Lesen, Schreiben, Rechnen und den Umgang mit neuen Medien bisher nicht erwerben konnten, gefördert werden sollen. Das ist faktisch eine erste Chance. Es soll im Weiteren ein Programm zur Nachqualifizierung im Sinne einer zweiten Chance begründet werden.

Das zweite Feld bezieht sich auf das Übergangsmanagement bzw. die Durchlässigkeit von beruflicher Bildung und Hochschule. Das Programm "Lernende Region" soll im Sinne einer besseren Vernetzung bis hin zu kulturellen Bezügen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
und auch in betriebliche Bezüge hinein ausgebaut werden. Beides soll in Kombination erfolgen. Auch die Durchlässigkeit von beruflicher Bildung und Hochschule soll verstärkt, vor allem transparent gemacht und auf einen gleichen Standard gehoben werden.
(Beifall bei der SPD)

Schließlich ist das dritte Aktionsfeld eine bessere Unterstützung bei betrieblichen Qualifizierungsprozessen, die es in der Wirtschaft gibt, und dort, wo sich berufliche Weiterbildung in entscheidenden Bereichen vollzieht. Die Stichworte "Bildungssparen" und "Einsetzung einer stärkeren Rückversicherung bei Bildungszeitkonten" wurden schon genannt. - Dies sind die drei Handlungsfelder.

Man merkt aber auch, wo es noch eine Differenz gibt. Die Partei der Linken hat geäußert, dass sie ein Bundesrahmengesetz für Weiterbildung einführen wollten. Das gehört auch zur Programmatik der SPD. Aber wie es nun einmal in Koalitionen ist: Man kommt nicht gleich zum Ziel. Ich will Frau Merkel zitieren, die in einem anderen Zusammenhang gesagt hat: Wir machen erst einmal das, was im Koalitionsvertrag steht, und dann müssen wir sehen, wie wir weiterkommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die SPD hat etwas vor, was darüber hinaus zielt, nämlich die Einführung eines gesetzlich begründeten Anspruchs auf Mindestzeiten, eine Mindestabsicherung und eine Mindestqualitätssicherung bei der Weiterbildung in Form eines Rahmengesetzes, zu dem wir genauso bekennen müssen: Dies muss sich entwickeln. Die Einbringung eines solches Gesetzentwurfes kann man jetzt noch nicht auf den Tag genau festlegen. Wir sind durchaus hoffnungsvoll, dass wir dafür auch die Zustimmung der anderen großen Volkspartei - vielleicht schneller als erwartet - gewinnen können.

Wenn es um die Strategie geht, kann ich an Bemerkungen anknüpfen, die Kollege Dobrindt und andere gemacht haben, nämlich dass die Einordnung unseres Anliegens so erfolgen muss, dass wir den Schwung aus anderen Quellen dafür nutzen, Weiterbildung nicht nur zu beschwören, sondern sie in der Gesellschaft als ein positives Element der Lebensgestaltung, der Absicherung des Erwerbs und zusätzlicher Lebenschancen zu verankern.

Subjektiv gesehen sind wir dicht bei diesem Anliegen; aber objektiv gesehen fehlt uns noch etwas. Bei einem Vergleich der innovativen Volkswirtschaften mit denjenigen, die nicht so wertschöpfungsintensiv sind, kann man erkennen, dass in Finnland, in Dänemark und in Schweden kontinuierlich vorbildliche Leistungen in Bezug auf die berufliche Weiterbildung erbracht worden sind. Hier besteht ein Rechtsanspruch, der von den Beschäftigten als Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit positiv aufgenommen worden ist. Das hat England übernommen. Objektiv müssen wir feststellen: In Deutschland sind wir noch auf dem Niveau von Ungarn. Das kann nicht so bleiben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das muss sich vielmehr auch bei uns verändern, wenn wir den Lissabonprozess, in dem es darum ging, über die Verstärkung der Forschung und Entwicklung eine nachhaltige Wertschöpfung zu erreichen, ernst nehmen wollen und unser System um das ergänzen wollen, was uns Beobachter, Bildungsforscher und Ökonomen im Zusammenhang mit diesem Prozess sagen, nämlich dass Investitionen in die Qualifizierung ein nachhaltiger Beitrag sind, den man leisten muss, damit es dauerhafte Wertschöpfung auf einem hohen Niveau gibt. So lautet der Zwischenbericht von Wim Kok zu dem so genannten Lissabonprozess aus dem Jahr 2000. - Das ist der eine objektive Faktor, der Weiterbildung mächtiger werden lässt.

Der zweite Faktor ist von Ihnen angesprochen worden mit der - vielleicht nicht eintretenden, aber auch nicht auszuschließenden - Perspektive der Rente mit 67. Wenn es eine längere Lebensarbeitszeit gibt, dann erhält man Beschäftigungsfähigkeit unter anderem durch Weiterbildung, aber nicht erst Weiterbildung bei den 55- bis 60-Jährigen, sondern in der Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen. Mit dieser Weiterbildung werden die entscheidenden Grundlagen dafür gelegt, dass es nicht den wahrzunehmenden Abbruch in der Qualifikation von Menschen über 55 gibt, der in Deutschland leider zu verzeichnen ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch wenn der großen Koalition Anerkennung dafür auszusprechen ist, dass sie in einer Partnerschaft auf Zeit konstruktiv und dynamisch zusammenarbeitet, müssen wir dennoch in die Gesellschaft schauen.

Die positiven Gesichtspunkte, die in Bezug auf die Unternehmen bereits genannt wurden, möchte ich im Hinblick auf die Gewerkschaften noch ergänzen. Wenn ich zurückblicke, dann stelle ich fest, dass die IG Metall einen Orden Pour le Mérite verdient, was die Weiterbildung angeht.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie hat das Thema Weiterbildung in Tarifverträge und Tarifauseinandersetzungen hineingebracht, mit der Folge, dass es jetzt Weiterbildungsberatungen und sogar einen Anspruch auf Weiterbildung gibt. Diese Auseinandersetzungen verliefen nicht immer zur Zufriedenheit aller Mitglieder, die sich am Ende sogar mit einem Streik das Recht auf Weiterbildung und die Unterstützung für Weiterbildung erkämpft haben. Diese Facette sollten wir in der aktuellen Tarifrunde durchaus beachten.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):

Ich glaube, dass die Partei der Arbeitnehmer und die Partei, die viele Dinge eher aus unternehmerischer Sicht sieht, ein gemeinsames Interesse in der Gesellschaft verbindet: nämlich das Interesse an Weiterbildung als einem Garanten für Wertschöpfung und individuelle Chancensicherung in der Zukunft. Diesem Interesse zu entsprechen, wäre das Wichtigste, was wir in dieser Legislaturperiode erreichen können.
Danke.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Priska Hinz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Schneider, Sie sprechen in Ihrem Antrag zu Recht von der Zukunftsaufgabe Weiterbildung. Sie haben gemutmaßt, dass man Ihrem Antrag nicht zustimmt, weil er so ein Wunschkonzert ist. Ich muss dazu sagen: Wenn man eine Zukunftsaufgabe beschreibt, dann muss das anders aussehen als in Ihrem Antrag; denn Sie haben wichtige Themen leider ausgespart.

Veränderte Lebensbiografien zum Beispiel führen dazu, dass sich künftig die Phasen von Bildung, Erwerbsarbeit und gesellschaftlicher Arbeit abwechseln werden. Hinzu kommt, dass das Renteneintrittsalter verschoben wird.

Des Weiteren brauchen wir eine Verknüpfung von Weiterbildung mit der Erstausbildung. Das bedeutet, wir brauchen ein ganz anderes Verständnis von lebenslangem Lernen und auch von dessen Finanzierung. Leider kommt das in Ihrem Antrag zu kurz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Außerdem ist Ihr Antrag geschlechterblind - wenn ich das einmal so sagen darf. Die Tatsache, dass vor allen Dingen Frauen von Weiterbildungsangeboten unterdurchschnittlich profitieren und von Angeboten gar nicht erreicht werden, wenn sie sich in der Familienphase befinden oder hinterher wieder in den Beruf einsteigen wollen, ist Ihnen keine Zeile in Ihrem Antrag wert. Das ist aber ein gravierendes Problem nicht nur für die Frauen, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt und für die Wirtschaft.

Auch die anderen Gruppen, die viel zu wenig an Weiterbildung teilnehmen - seien es die gering Qualifizierten, die Älteren, die Migranten oder die Behinderten -, werden in Ihrem Antrag nicht genannt. Eigentlich ist Ihr Antrag immer noch so aufgestellt, dass er die normale männliche Erwerbsbiografie vor Augen hat: Da muss man halt noch Weiterbildung machen, um im Erwerbsleben vorwärts zu kommen, und wenn man arbeitslos ist, muss eben das Arbeitsamt für Fortbildung sorgen. So ist Ihr Antrag aufgebaut; er geht eigentlich an den Notwendigkeiten vorbei.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich wollen auch wir Weiterbildung in der Arbeitslosigkeit in Zukunft sicherstellen. Deswegen muss dringend - das hat Herr Rossmann schon gesagt - das System der Bildungsgutscheine verändert werden, das gerade bildungsferne Arbeitslose ausschließt. Wir brauchen andere Arten von Qualitätskriterien und wir brauchen Planungssicherheit für die Weiterbildungsträger, damit sie auch qualifizierte Weiterbildung vermitteln können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Weil wir ganz unterschiedliche Zielgruppen und Lebensphasen ins Auge nehmen müssen, brauchen wir ganz unterschiedliche Weiterbildungsmöglichkeiten: Arbeitszeitkonten, Job-Rotation, natürlich tarifvertragliche Regelungen und Bildungsurlaub. Wir müssen aber auch über das neue Modell der Lebensphasenteilzeit nachdenken und uns mit der Frage, wie informelles Lernen stattfinden kann und nach welchen Qualitätskriterien es anerkannt werden kann, beschäftigen. Eventuell brauchen wir im Rahmen der Weiterbildung auch Elemente einer Beschäftigtenversicherung.

Im Antrag der Linken habe ich ein Thema besonders vermisst: Die Rolle der Unternehmen bei der Weiterbildung wird völlig ausgespart. Bei diesem Thema sind Sie doch sonst immer vorne dabei.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Worin sehen Sie den Anteil der Wirtschaft an der Weiterbildung? Weiterbildung ist Innovation. Die Unternehmen brauchen sie, um wettbewerbsfähig zu sein, um mithalten zu können. Sie brauchen gute Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil sie die Zukunft eines jeden Unternehmens sind. Darüber verlieren Sie überhaupt kein Wort. Das hat mich sehr gewundert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Volker Schneider [Saarbrücken] [DIE LINKE]: Das diskutieren wir im Zusammenhang mit Bildungssparen!)

Beim Thema Finanzierung darf man nicht nur die öffentliche, beitragsfinanzierte, sondern muss auch die betrieblich und privat finanzierte Weiterbildung berücksichtigen. Insofern ist in meinen Augen auch die Vorstellung der CDU/CSU zu einseitig. Bildungssparen ist ein Aspekt bei der Finanzierung, der Weiterbildungskredit könnte ein weiterer sein. Wir müssen aber den ganzen Strauß von Möglichkeiten sehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich halte es für notwendig - das habe ich auf der besagten Veranstaltung auch schon gesagt -, dass wir zu dem Bericht aus der letzten Wahlperiode und zum neuen Weiterbildungsbericht der Bundesregierung eine Anhörung durchführen, damit wir uns bei diesem Thema gut einmischen und ein Gesamtkonzept entwickeln können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich schließe die Aussprache zu diesem Punkt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 16/785 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Wie ich sehe, sind Sie damit einverstanden. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Quelle: Plenarprotokoll 16/33, Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 33. Sitzung
Berlin, Freitag, den 7. April 2006


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 16.05.2006