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Bundesagentur nimmt Behinderteneinrichtungen ins Visier

Jedes Jahr werden 38 000 Jugendliche und 24 000 erwachsene Menschen mit Behinderungen in Berufsbildungs- und Berufsförderungswerken auf das Arbeitsleben vorbereitet. Nun will die Bundesagentur für Arbeit auch in diesem Bereich kräftig kürzen.

Wer aufgrund einer Krankheit nach und nach erblindet, kann nicht weiter als Uhrmacher arbeiten. Und einem Querschnittsgelähmten nützt seine Berufsausbildung als Maurer ebenfalls nichts mehr. Solche Menschen haben nicht nur Anspruch auf eine Umschulung, sondern können auch vorbereitende Hilfen wie Berufsfindung und Arbeitserprobung in Anspruch nehmen. Zuständig für sämtliche Maßnahmen sind die bundesweit 28 Berufsförderungswerke. Die Kosten tragen die Bundesagentur für Arbeit (BA), die Rentenversicherungen oder die Berufsgenossenschaften.

Darüber hinaus legt das Sozialgesetzbuch (SGB IX) fest, dass auch behinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen spezielle berufsvorbereitende Leistungen zustehen. Durchgeführt werden sie in 52 Berufsförderungswerken, die auch anschließend für die Erstausbildung zuständig sind. In diesem Fall finanziert die BA die Maßnahme alleine.

Aus den Ausbildungs- und Internatskosten aller Einrichtungen hat die BA nun einen Mittelwert errechnet, der künftig als Höchstsatz gelten soll; die Landesarbeitsämter wurden angewiesen, entsprechend zu verhandeln. Alle Einrichtungen die über diesem Satz liegen, sollen ihre Kosten für 2004 um mindestens 10 Prozent senken. Dass verschiedene Behinderungen unterschiedlich ausgestattete Einrichtungen und einen unterschiedlichen Bedarf an Fachpersonal erfordern wurde dabei ebenso ignoriert wie regionalbedingte Faktoren.

Aber damit nicht genug. Künftig soll es bei den vorberuflichen Maßnahmen zentrale Ausschreibungen geben. Nicht mehr die für die Art und Schwere der Behinderung notwendigen Förderleistungen in entsprechend spezialisierten Einrichtungen sollen den Ausschlag geben, sondern der Preis. Den Berufsbildungs- und Berufsförderungswerken würde nichts anderes übrig bleiben, als unterhalb ihrer realen Kosten anzubieten - mit fatalen Folgen bis hin zur Existenzgefährdung. Auf jeden Fall müsste die Qualität heruntergesetzt werden. Die Beschäftigten hätten mit erheblichen Verschlechterungen ihres Arbeitsplatzes und im schlimmsten Fall mit dessen Verlust zurechnen. Sollten in einem weiteren Schritt Berufsfindungs-, Arbeitserprobungs-, Assessment- und Fördermaßnahmen nicht mehr an die Einrichtungen vergeben werden, die auch Ausbildungen durchführen, wären sehr viele Arbeitsplätze gefährdet.

Unsinnig ist auch, dass künftig eine "Verbleibsquote" als Maßstab zur Belegung herangezogen wird. Welche Auswirkungen das hat, wird an der weitgehenden Zerschlagung des Weiterbildungssektors durch die BA deutlich, wo eine Eingliederung von 70 Prozent der TeilnehmerInnen auf dem ersten Arbeitsmarkt gefordert wird - ohne Rücksicht z. B. auf die regional unterschiedliche Arbeitsmarktlage. Zudem kann die sofortige Vermittlung in einen Job nicht das einzige Kriterium sein; die Herstellung von Beschäftigungsfähigkeit und die psychische und soziale Stabilisierung der Person sind gleichrangige Ziele.

Behinderte Menschen sind am Arbeitsmarkt benachteiligt. Durch eine gute Ausbildung können sie ihr Handicap teilweise ausgleichen. Jede Kürzung schränkt ihre gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft ein und gefährdet damit die Umsetzung des Gleichbehandlungsrechts aus Artikel 3 des Grundgesetzes.

Von Norbert Faust und Hermann Ziegenbein
Quelle: biwifo Report 1/2004




Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 02.03.2004