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Krise der arbeitsamtsgeförderten Weiterbildung - Eine vorsichtige Zwischenbilanz

Von Hajo Dröll, Roland Kohsiek und Friedrich Sendelbeck


Dass kein Mensch genau weiß, wie viele Menschen zu welchen Bedingungen in der Weiterbildung arbeiten, ist oft beklagt. Im Moment macht sich dies wieder einmal besonders schmerzlich bemerkbar, denn ohne genaue Kenntnisse, wie die Krise die Branche trifft, haben es die Rettungsversuche schwerer.

Gesichert lässt sich folgendes sagen: Die Bestandszahlen an Teilnehmer/innen sind bis Ende August um 20% niedriger als im Vorjahr.

Entscheidend ist aber die Zahl der Neueintritte, weil sie den Trend bestimmt.

Danach haben in den ersten acht Monaten des Jahres 2003 bundesweit 174.257 Menschen weniger eine Qualifizierungsmaßnahme begonnen. Das entspricht einem Rückgang von 53,1%.

Welche Branche und welcher Betrieb überlebt einen Umsatzeinbruch von mehr als der Hälfte?

Bei den Bildungsgutscheinen spricht das Arbeitsamt inzwischen von einer Einlösequote von 79%. Das fällt schwer zu glauben, sind die Erfahrungen vor Ort dazu doch sehr abweichend. Zwei Tendenzen stechen hervor. Zum einen führt bei andauernder Marktintransparenz und Beratungsverbot durch die Arbeitsämter der Bildungsgutschein zu einem Verfall der Angebote. Zum anderen zwingt der alltägliche Irrsinn der ungesteuerten Einlöseversuche zu einer weiteren Zusammenarbeit der Weiterbildungseinrichtungen.

Eine erste Untersuchung zur Entwicklung der Teilnehmerstruktur belegt die vorab vermutete selektive Wirkung der Kürzungen auf einzelne sog. Problemgruppen des Arbeitsmarktes. Allein der Vergleich der prozentualen Anteile einzelner Problemgruppen bei den Neueintritten von 2003 zu 2002 zeigt, dass deutlich weniger Langzeitarbeitslose, ältere ArbeitnehmerInnen und Schwerbehinderte in eine Bildungsmaßnahme eintreten konnten Und schon 2002 waren diese Gruppen unterdurchschnittlich in Bildungsmaßnahmen vertreten.

Der Anteil der Schwerbehinderten ist auch prozentual in Relation zur geringeren Zahl an Eintritten um knapp 50% gesunken.

Wie sieht es beim Personal der Weiterbildungsbetriebe aus, wofür es keine amtliche Statistik gibt? Bei sehr vielen Trägern finden Personalabbau, Betriebsänderungen und Verhandlungen über Interessenausgleiche und Sozialpläne statt, und zwar in einem beträchtlichen Umfang. Lediglich von einem größeren überregionalem Träger ist das Volumen des Personalabbaus unklar; allerdings wird der Personalabbau oftmals durch das Auslaufen befristeter Verträge, Vorruhestandsregelungen und Entlassung von Honorarkräften – je nach Personalstruktur – verdeckt.

Bei den großen bundesweiten Trägern wird der geplante oder vollzogene Personalabbau jeweils mit mehreren Hundert Beschäftigten angeben, im Einzelfall bis zu 40%. Allerdings schwanken diese Zahlen von Woche zu Woche, aber auch in beide Richtungen, nach oben und unten. Während in dem einen Betrieb alle Verhandlungen mit dem Betriebsrat im März/ April abgeschlossen und der Personalabbau bereits vollzogen wurde, wird beim anderen Träger noch verhandelt und im dritten der Personalabbau erst für 2004 geplant. Es finden also alle Phasen von Kapazitätsanpassung und Personalabbau – auf die Branche bezogen – gleichzeitig statt.

Und auch da zeigen sich Unterschiede: Die Art und Weise, wie auf die Krise reagiert wird, hängt nicht nur vom Umfang des Einbruchs ab, sondern auch von der jeweiligen Unternehmenspolitik (bei jeder Krise spielen externe und interne Faktoren ineinander, wenn auch unterschiedlich gewichtet).

Während der eine Arbeitgeber versucht, zumindest seine Stammbelegschaft zu sichern und auf andere Geschäftsfelder auszuweichen, kündigen andere Arbeitgeber offensichtlich prophylaktisch und weit über das Ausmaß der Kürzungen im Lehrgangsgeschäft hinaus. Und einzelne können der Versuchung wohl nicht widerstehen, mit der Krisenbewältigung gleich noch einige „Probleme" (aus ihrer Sicht) zu regeln. Anders ist die Kündigung von Betriebsräten nicht zu erklären; und das sind keine Einzelfälle. Bei zwei großen bundesweit agierenden Trägern wird in oder mit der Krise ein weitgehender Umbau der Unternehmen in Angriff genommen oder bereits vollzogen.

Die regionalen Disparitäten sind groß. Kommt z. B. in einem Bundesland ein großer Träger in arge Bedrängnis, kann er in einem anderen Bundesland sogar Krisengewinnler sein.

Grob geschätzt gibt es zum Jahresende durch die Umsetzung des Hartz-Konzepts 20.000 Arbeitsplätze in der Weiterbildung weniger. Mit diesem Konzept sollte angeblich einmal die Arbeitslosigkeit um die Hälfte reduziert werden.

Zu den genannten Auswirkungen auf die Träger muss noch der zunehmende Konkurrenzkampf und der Druck auf die Lehrgangsgebühren genannt werden. Mit einem zunehmenden Konkurrenzkampf musste bei einem schrumpfenden Markt gerechnet werden.

Der Druck auf die Lehrgangsgebühren aber hat eine neue, drastische Dimension angenommen. Die bislang gelaufenen Ausschreibungsverfahren waren möglicherweise nur ein Vorgeschmack auf das, was bei umfassender Wirkung der ‚bundesweiten Durchschnittskostensätze (BDKS)‘ noch auf die Träger und ihre Belegschaften zukommt. Eine weitere Prekarisierung der Beschäftigungsbedingungen vorauszusagen, liegt auf der Hand.

Ein Fazit lautet: Die große Mehrzahl der Träger ist von einem drastischen und Existenz bedrohendem Auftrags- und Umsatzeinbruch betroffen; das Ausmaß hängt in hohem Maße von der Politik der einzelnen Arbeitsämter ab, die Krisenbewältigung wiederum von der jeweiligen Unternehmenspolitik.

Wir stecken mitten in der Krise drin, das ganze Ausmaß lässt sich (noch) nicht erfassen.




Dr. Hajo Dröll ist GEWerkschaftssekretär in Frankfurt,
Roland Kohsiek leitet den ver.di-Fachbereich 5 in Hamburg,
Dr. Friedrich Sendelbeck ist Gewerkschaftssekretär in Nürnberg



Der Artikel stammt aus der Zeitschrift prekär, Zeitung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft für die Beschäftigten in der Weiterbildung, herausgegeben vom GEW-Landesverband Hessen.

In der Zeitschrift finden sich viele interessante Beiträge über die Entwicklung der Weiterbildungsbranche.


Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 14.01.2004