Der Kommentar

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Matratze verprügelt – oder: Über die Pflicht zum fröhlichen Verzicht

Matratze verprügelt – oder: Über die Pflicht zum fröhlichen Verzicht

Heute Morgen habe ich meine Matratze verprügelt. Meine arme Ruhestätte musste meinen Wutausbruch nach langen schlaflosen Nachtstunden sicher zehn lange Sekunden aushalten. Wie es dazu kam? Ich bin Honorarkraft in der Weiterbildung und habe Urlaub gemacht ...

Letzte Woche hatte ich mir Urlaub gegönnt, obwohl ich Unterricht hätte geben können. Es wurde also eine teure Woche. Und es war ein gefährliches Unterfangen, Urlaub zu haben: Eine Woche vorher war ein neuer Ausbilder genau in meinem Einsatzbereich fest eingestellt worden. Lange überlegte ich, ob ich mir deswegen Sorgen um meine Einsatzstunden machen müsste. Sollte ich meinen Chef fragen? Oder würde ich ihm mit dieser Frage auf die Nerven gehen?

Zufällig traf ich ihn beim Mittagessen und ergriff die günstige Gelegenheit, um die Frage, die mir unter den Nägeln brannte, anzubringen. Seine Antwort: „Machen Sie sich keine Gedanken. Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub!“ Meine Urlaubswoche trat ich natürlich trotzdem mit leicht mulmigem Gefühl an.

Ich war bei dieser Weiterbildungsstätte im Januar engagiert worden, um einen fest angestellten Ausbilder zu unterstützen. Es hatte zuvor gleichzeitig zwei Ausfälle in diesem Bereich gegeben, so dass dringend Unterstützung für den verbliebenen und völlig überlasteten Kollegen nötig war. Diese Unterstützung war ich und der Chef erzählte mir bei Auftragsbeginn, dass bei ihm stets Bedarf für Dozenten mit meiner Profession bestünde.

Überhaupt lockte er mich, indem er mir versprach, dass ich auch während unterrichtsfreier Tage eingesetzt werden könnte. Denn in den Schulferien würde üblicherweise der Unterricht und somit mein Honorar voll ausfallen. Ich könne aber in dieser Zeit die Prüfungsvorbereitung einer anderen Berufsgruppe übernehmen.

Ich freute mich über dieses Angebot des Chefs, der sich also darüber bewusst zu sein schien, dass Unterrichtsausfälle für eine Honorarkraft höchst ärgerlich, weil teuer sind. Also arbeitete ich bis tief in die Nacht, sprach mit vielen Lehrkräften und Teilnehmern und half auch noch dem überlasteten Kollegen bei dessen Unterrichtsvorbereitung. Und ich bereitete die Woche mit der Prüfungsvorbereitung vor, was stets besonders anspruchsvoll ist. Natürlich ohne Honorar.

Eine Woche vor den Schulferien beauftragte der Chef einen festangestellten Ausbilder mit der Prüfungsvorbereitung. Von seinem Versprechen, mich einzusetzen, wusste er plötzlich nichts mehr. „In Ihrem Vertrag steht, dass wir 24 Stunden vor Auftragsbeginn absagen können. Das haben Sie unterschrieben“, entgegnete er nur auf meine Nachfrage. Ach so. Für mich aber ging es hier um eine ganze Woche Honorarausfall. Da wurde ich das erste Mal skeptisch. Trotzdem vertraute ich seinen Worten in der Kantine. Worauf sonst sollte ich mich sonst verlassen? Oder wollte er mich kurz vor der Urlaubswoche nur beruhigen?

An Geld ärmer, an komplett vorbereitetem Unterricht dafür reicher bekam ich an meinem ersten Einsatztag nach meinem arbeitsvollen Urlaub folgende E-Mail vom Chef: „Ich hoffe, sie hatten einen guten Urlaub! Ihr Einsatz ist für den Monat Juni deutlich reduziert. Wir setzen Sie nur am Donnerstagnachmittag für 3,5 Stunden ein.“

Während dieses Kurzeinsatzes erfuhr ich nebenbei von den Teilnehmern, dass am darauf folgenden Donnerstagnachmittag gar keine Teilnehmer anwesend sein würden, da sie Abschlussprüfung hätten.

Ich schrieb dem Chef, ob er diese Information bestätigen kann. Er antwortete: „Es ist richtig, dass nächste Woche für Sie nur der Einsatz mit 1,5 Stunden anfällt. Danach gibt es dieses Angebot nicht mehr. Wir werden es dann über die festangestellten Mitarbeiter anbieten. Somit findet nächste Woche Ihr letzter Einsatz statt. Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung. Mit freundlichen Grüßen“.

Meine telefonische Nachfrage, ob danach definitiv gar kein Einsatz mehr erfolgen wird, obwohl mir doch bei meiner Einstellung gesagt wurde, dass ein Honorarkräftepool aufgebaut werden solle, beantwortete der Chef hörbar genervt: „Die Beantwortung Ihrer Nachfragen gehören nicht zu meinem Aufgabenfeld. Ich habe Ihnen alles geschrieben, was ich zu sagen habe. Damit haben Sie Planungssicherheit. Ich mache Ihnen keine Versprechungen über die darauf folgende Zeit.“

Schlagartig wurde mir bewusst, dass meine Nachfragen nicht nur nicht erwünscht, sondern auch nicht erlaubt sind. Keinen Auftrag und damit kein Geld mehr zu haben, ist für mich höchstdramatisch. Aber es wird erwartet, nein, es ist ein Muss, dass ich das komplett ausblende.

Alle Versuche, dem Chef Glauben zu schenken, Bemühungen um seine Gunst und ihn möglichst bei Laune zu halten, ihm mit Ansprüchen nicht auf die Nerven gehen und stets zu lächeln, gleichen im Prinzip dem Verhalten des Untertans im mittelalterlichen Feudalismus. Weder aggressiv noch beleidigt sein, stets positiv und souverän auftreten. Freundlichkeiten und Witze an der richtigen Stelle anbringen. Der Untertan muss sich beliebt machen. Die Honorarkraft ebenso.

Allerdings gibt es einen Unterschied im Herrschaftsverhältnis des Feudalherren zu seinen Untertanen und dem der heutigen Auftraggeber zu „seinen“ Honorarkräften. Der Feudalherr hatte eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Untertanen. Diese Fürsorgepflicht hat der Auftraggeber gegenüber den freien Honorarkräften nicht. Das bürgerliche Vertragsrecht hat ihn davon entbunden.

Das Vertragsrecht erlaubt, dass Honorarkräfte für Personalengpässe engagiert werden können, aber auch mitten in einem laufenden Projekt Absagen erhalten können. Es erlaubt die Absage eines Honorarvertrags, selbst wenn es subjektive Gründe des Auftraggebers sind, die ihn dazu bewegen. Das formale Recht entbindet den Auftraggeber, moralisch und sozial von jedweden Pflichten gegenüber der Honorarkraft. Der Chef muss sich vor niemandem rechtfertigen und er wird von keinen Gewissenbissen geplagt, wenn er den Satz ausspricht: „Morgen endet Ihr Auftrag.“

Festangestellte fallen unter den Schutz des Arbeits- und Sozialrechts, zum Beispiel Kündigungsschutz, Mitbestimmungsrechte und Tarifverträge, die Mindeststandards festlegen. Sie sind weit weniger der Willkür der modernen Herrscher aussetzen.

Sicher, auch Festangestellte benehmen sich vielfach devot. Der gravierende Unterschied zum Honorarbeschäftigten ist aber: Der Festangestellte muss es nicht. Von der „freien“ Honorarkraft verlangt der Auftraggeber hingegen den vollständigen Verzicht auf eigene Interessen.

Fazit: Der Festangestellte geht zum Betriebsrat. Der Honorarkraft bleibt nur, seine Matratze zu verprügeln.


ein Beitrag aus der ver.di-AG Freie und Honorarkräfte Hamburg


Schlagworte zu diesem Beitrag: Öffentliche Beschäftigungspolitik, Freiberufler/Selbstständige
Dieser Beitrag wurde zuletzt aktualisiert am 01.06.2015

Quelle: www.netzwerk-weiterbildung.info
Druckdatum: 28.03.2024